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Eine neue Identität

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Ostrigeca von Marjan Tomsic ist ein ungewöhnliches Buch: die Bealisation einer komplexen, in gesuchten poetischen Bildern dargestellten Welt, eine Collage aus Träumen, Volksmärchen, Geistergeschichten. Der Untertitel, „Eine magische Novelle aus Istrien”, offenbart die Absichten des slowenischen Autors, die polyphone, mehrschichtige Struktur der regionalen Kultur neu zu entdecken und in einer „verzauberten” Mischung aus dem Archaischen und Anarchischen zu retten.

Auch Tomsics Sprache ist eine Kombination von archaischen Begio-nalismen und Hochsprache, dazu stark ornamental und gelegentlich von einer orakelhaften, hybriden Dunkelheit. Die Übersetzung kann die mundartlich gefärbte Sprache des Originals nicht immer wiedergeben.

Boskin, eine Symbolfigur aus dem Umfeld der Zauberkünste und Zauberkünstler, ein „Waldgeist”, dessen Name vom italienischen Wort „bos-co” für Wald abstammt, ist ein Sonderling, Bettler und Wanderer durch den Kosmos der istrischen Landstriche. Eine solche Figur ist in der slowenischen Literatur nicht neu. Sie tritt in der Form eines alternativen („Hunger”-)Künstlers etwa bei Ivan Cankar auf, als Bewahrer der Aufrichtigkeit und oberster Träger der Wahrheit. Er ist stets auch ein Seher, manchmal ein Magier. Die literarische Wanderung durch ein magisches Istrien garniert Tomsic mit humorvollen Geschichten und Begebenheiten, er verknüpft sie mit dem vitalen Geist der Volkskultur, verbindet sie mit heidnischen Mythen und christlicher Folklore. Zugleich zeigt er seine Protagonisten inmitten der konkreten Wirklichkeit.

Was ist das Leben? Ein Wunder? Eine Gnade? Das Versinken in Träumen, (Vor)ahnungen, das Überwinden des Dinglich-Realen und Verschwinden in der Geisterseherei? Der Protagonist des Buches ist nicht nur ein Wunderheiler und Seher, sondern auch eine tragische Existenz. Als „Mittler zwischen Himmel und Erde” wird er immer mehr Teil des Landschaftsbildes, ein Punkt in der großen Natur. „Verhext” bewegt er sich außerhalb der maßgeblichen sozialen und politischen Visionen, Utopien und Projekte der Geschichte. Darum überrascht es nicht, daß man diese „ahistorische”, die Identität des Menschen im Verborgenen, Verbotenen, Ausgegrenzten oder Verpönten am Bande suchende Literatur des 1939 geborenen Autors erst nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus in Slowenien entdeckte.

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