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Digital In Arbeit

Schnipsel-Sammler

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Andreas Karner, Jahrgang 1960, sammelt, was er hört und sieht, steckt es scheinbar wahllos in ein Buch: Gesprächsfetzen, Meldungen, Beobachtetes. Fast immer sind es Mikrodialoge aus dem Alltag, nur durch Übertragung ins Schriftdeutsch stilisiert. Sprechanlaß kann eine Banalität sein, zwei, drei Sätze lang geht es gut, dann folgt der Umschlag ins Skurrile, ins Aneinandervorbei, ins Aggressive oder offen Bösartige. Man redet beim Zahnarzt, im Stiegenhaus, im Schlafzimmer, am Telefon. Immer abruptes Ende, permanent scheiternde Verständigung.

Davon sind an die 50 Stücke versammelt, zu jedem Stück ein Titel, gelegentlich länger als der Rest. Da „lehnt Intaktes neben Kaputtem”, Verständliches neben Absurdem, Naives neben Gräßlichem. Registriert mit vivisektorischem Blick, der unter der dünnen Haut die Geschwüre sieht. Der Groteskensammler legt die Funde punktbeleuchtet unter Glas und hält sie isoliert. Dem Umgekippten läßt er keine aufrichtende Kraft. Nur gelegentlich, wie zur Geisterstunde, verhakt er die Knochensplitter zu phosphoreszierenden Skeletten und läßt sie seltsame I Lebensläufe tan -zen. Es entstehen kleine Geschichten, Gedichte, Lieder, zu denen die Noten mitgeliefert werden. Aber auch die Ensembleszenen gehen schief, enden im Bizarren. Selten wird einem zugezwinkert, etwa durch die eingestreuten friedlichen Vignetten und Scherenschnitte.

Wer ist dieser verrückte Autor? Ich wollte den Sammler sehen. Im Cafe zeigt sich ein behutsamer, freundlicher Mensch, der fast verlegen von den Ungeheuerlichkeiten spricht, die er versammelt: „Ich wollte das Idyllische brechen”. Muß man zum Buch den Autor kennen? Man könnte ihn kennen als Jacques Poulard in Phettbergs Nette Leit Show. Ansonsten gibt es von ihm ein Kinderbuch, Ausstellungen seiner Grafiken, Performance-Auftritte und eine eben abgeschlossene Arbeit am Kinofilm „In Schwimmen-zwei-Vögel”, der im Herbst anläuft.

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