Trotzdem nicht verzweifeln: "Auf der anderen Seite des Meeres" von Siobhan Dowd

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Unser Lektorix des Monats.

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Sweet dreams are made of this. Eine liebevolle Mutter und das grüne, wogende Gras Irlands - daraus sind Hollys Träume gemacht. Dagegen kommt niemand an, kein netter Betreuer im Heim und auch die neuen Pflegeeltern Fiona und Ray nicht. Und also bricht Holly am Tag vor ihrem fünfzehnten Geburtstag auf: Ausgestattet mit einer blonden Perücke, die sie ein paar Jahre älter macht, verlässt sie als Solace London, um ihre Mutter in Irland zu suchen. Solace ist stark und smart, sie kommt mit Leuten ins Gespräch und weiß sich zu helfen: Sie kann im Laden ein schickes Kleid klauen und im Club Drinks schnorren.

Den lieben Menschen, auf die sie trifft, erzählt sie Geschichten: von ihrer Mam, die krank sei und auf sie warte, von ihrem feschen Freund, der sie im Cabrio abholen werde, vom grünen, wogenden Gras Irlands. Wenn es brenzlig wird, etwa spätnachts ein Mann handgreiflich, dann wird sie zu Holly. Dann rennt sie weg und ist der Verzweiflung nahe, dann schläft sie in einem Treppenhaus oder auf einer Parkbank. In den Träumen dieser Nächte tauchen Bilder aus dem "Himmelshaus" auf, wo sie mit ihrer Mutter und deren Freund gewohnt hat, Bilder, die nichts Gutes verheißen.

Je näher Solace der irischen See kommt, umso verschlissener wird die Perücke, umso weniger glaubwürdig werden ihre Geschichten, umso größer wird ihre Verzweiflung. Auf der Fähre schließlich entpuppt sich der Traum von der liebevollen Mutter endgültig als Albtraum und das Himmelshaus als Höllenschlund. Solace' Reise ist zu Ende. Die von Holly kann jetzt endlich beginnen.

In ihrem letzten Roman "Solace of the Road"(er ist schon im Original posthum erschienen) schickt Siobhan Dowd ihre Heldin auf eine Reise ins Herz der Finsternis, das ihre Kindheit war. Dass diese Reise für die Leser und Leserinnen, auch die jungen, erträglich ist, letztendlich sogar tröstlich, beweist das große Talent der englischen Autorin. Sie gibt ihrer Figur eine ordentliche Portion Trotz mit auf den Weg, genug Vorsicht, und noch sehr viel mehr Zuversicht. Und sie stattet sie vor allem mit jenem Mut aus, den es braucht, um schöne Träume zu entzaubern, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen und trotzdem nicht zu verzweifeln. Wer dazu fähig ist, ist auf einem guten Weg, so das Vermächtnis der Autorin.

Auf der anderen Seite des Meeres
Von Siobhan Dowd
Aus dem Englischen von Salah Naoura
Carlsen 2011
320 S., geb.,€ 15,40

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