Literatur - © Foto: iStock / omersukrugoksu

Über 100 Schwimmbadtage

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Das Paradies liegt gleich hinterm Stadion. Geöffnet ist es vom 15. Mai bis zum 15. September und die Geschwister Bukowski sind jeden Tag da. Egal, ob die Sonne scheint oder ob es regnet, egal ob Schul­ oder Ferientag, spätestens am Nachmittag sind Alf (10), Katinka (8) und Robbie (7) im Freibad. Weil sie im Frühjahr Helden waren – im Hallenbad haben sie einem Kleinkind das Leben gerettet –, haben sie Saison­Dauerkarten fürs Freibad bekommen. Und weil es in ihrer Wohnung so eng ist und das Geld zu knapp ist für einen Urlaub anderswo. Denn Mama arbeitet in der Bahnhofsbäckerei und Papa fährt Taxi. Was die drei Kinder auf rund 150 Seiten und in über 100 Schwimmbadtagen erleben, ist keineswegs spektakulär, aber doch eine ganze Menge: Am Ende des Sommers wird Ich­Erzähler Alf endlich vom Zehnmeterbrett gesprungen sein. Die frankophile Katinka wird zwar nicht Model in Paris sein, aber immerhin eine Nachhilfelehrerin in Französisch haben. Der zunächst wortkarge Robbie, der ein nur bisschen anders ist, wird sich in vielerlei Hinsicht freigeschwommen haben. Und gemeinsam werden sie sogar eine Nacht im Schwimmbad verbracht haben …

Sonnencreme, Chlorwasser, Pommes

Will Gmehling beweist mit „Freibad“ erneut, was für ein gewiefter Erzähler er ist, und dass es keine abenteuerliche Handlung braucht, wenn man überzeugende Figuren entwerfen kann. Mit Humor, beglückend leicht und geradezu beiläufig erzählt Gmehling über den Zusammenhalt zwischen den Geschwistern, die trotz aller Unterschiedlichkeit und kleinerer Reibereien letztlich immer füreinander einstehen. Er zeigt in vielen kleinen Episoden, worauf es ankommt, soll der gemeinsame Alltag glücken, und umreißt im Hintergrund mit randständigen Nebenfiguren auch soziale Konflikte.

Da ist der Obdachlose, der im Bad duschen möchte, und den der Bademeister rauswirft, weil er „so komisch riecht“ oder die drei Jugendlichen aus Mali, die von einem Schulkollegen Alfs als „Bimbos“ und „Neger“ beschimpft werden. Wem in derlei Szenen die Sympathie gehört, was falsch und richtig ist, wird vom Autor nicht explizit ausgestellt. Statt moralischer Statements vertraut Gmehling auch da seinen Figuren, dem Gang der Geschichte und seinen Leserinnen und Lesern. Was dieses Buch zu einem herausragenden macht, ist vor allem der genaue Blick des Erzählers für Details, Atmosphäre und das eigentlich Unsagbare. Ein Blick, den er auch seinem kindlichen Helden Robbie angedichtet hat, der „manchmal wie eine Katze irgendwohin guckte, wo eigentlich nichts war“. Und ein bisschen liegt die wohltuende Frische dieser Lektüre auch an dem Geruch, der über allem weht: nach Sonnencreme, Chlorwasser und Pommes mit viel Ketchup.

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