Liebe, so fragil wie lebendig

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Drei Erzählungen des Schweizer Autors Klaus Merz.

Eine gesichtslose Umarmung in Rot-Schwarz, in den Hintergrund ihrer farblichen Schattierungen gebettet. Sogar das Umschlagbild passt perfekt zum Sujet, das der Schweizer Autor Klaus Merz in seinem neuen Erzählband "Adams Kostüm" konturiert. Im Mittelpunkt seiner drei Erzählungen stehen Beziehungen, ins Dasein geflochtene emotionale Partituren, die vor der Kulisse des Alltags, des Aus- und Aufbruchs zu vibrieren beginnen. Was vielleicht alltäglich klingt, wächst sich bei Merz zu einer wunderbar subtilen Variation des Themas aus. Facetten im weiten Bogen von Liebe und Schmerz, sich auftuende Nähe oder Seelenverwandtschaft, das Aufflackern zarter Hoffnung und der Griff nach raren Momenten des Glücks - das ist der thematische Magnet, der die einzelnen Texte nach außen hin zusammenhält.

Einer ist wieder vom Dach gestiegen und hat sich doch für das Weiterleben entschieden. Bangigkeit war plötzlich stärker als die "tröstliche Einsicht in die maßgebende Überflüssigkeit von einem und allem", die Kern drei Tage nach dem Glockenläuten "in den Handwechsel der beiden Jahre hinein" gewonnen hatte. Sein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik wird zu einer Auszeit vom Leben da draußen. In der Aufarbeitung der Ereignisse wird ihm bewusst, dass er sich gegen einen "unablässigen Kehraus wehren" musste, obwohl er nur seine Verwahrung erreicht hatte. Merz hat diese Figur als Analytiker angelegt, der mit seinen Gedanken bis an die blutenden Ränder existentieller Wahrnehmung stößt. Irgendwann mischt sich Liebe in das Betreuungsverhältnis zwischen Therapeutin und Patienten, die sich zunächst als seltsame Erdung zwischen den beiden bemerkbar macht, dann als sprachloses Glück, von dessen "Beschreibbarkeit" sich später leben lässt.

Die Titelerzählung "Adams Kostüm" berichtet von der Liebe zweier junger Menschen, die das Verlassenwerden und eine lange Trennung überdauert, kein wirkliches Vergessen, dem die Zeit ihren Beistand geboten hätte. Eingesponnen in die Rahmengeschichte dieser ungewöhnlichen Liebe sind schwierige Formen von Bindungen, glückloses Zusammensein zwischen Mann und Frau samt Glutnestern von Liebe und Schmerz, auch das Scheitern am Leben. Filmartig mit Schnitten, Rückblenden und Zooms rollt die Zeit dahin. Mit dem Blick in die Welt der verschiedenen Figuren gibt Merz dieser Erzählung ein ebenso vielschichtiges wie fein gezeichnetes sozialpsychologisches Umfeld. Dorf-Einblendungen legt er als dünne Haut über Symptome und lässt aus ihren Falten den alltäglichen Lauf des Lebens schauen.

Und dann die sich zufällig entspinnende Unterhaltung zwischen einer Bibliothekarin und einem Geometer in einem Zug von Zürich nach Mailand. "Eine kurze Verstiegenheit", wie Merz sie nennt, ein Stück einer Zugfahrt lang. Sukzessive tastend zum anderen hin. Auf den Spuren der Vergangenheit, anderer Schicksale und der unmittelbaren Realität.

In diesen Erzählungen, die Heinz Egger mit schlichter Ästhetik illustrierte, zeigt sich Liebe so fragil wie lebendig. Es geht nicht um das große Los und schon gar nicht um Konturen eines breiten Emotionspanoramas, sondern im Sinne des vorangestellten Kafka-Zitates um das Begreifen dessen, was einem zufallen kann. Merz entwirft hier diffizile Welten, reißt auch Möglichkeiten an, die erst zu Ende gedacht werden müssen. Dabei gebärdet sich vieles scheinbar selbstverständlich und ist für sich genommen dennoch spektakulär. Das flüchtige Glück wird ganz beiläufig ins Leben geschleust in einem tiefgründig angelegten Arrangement von Reflexion, Beobachtung und brillanter Spracharbeit. Unbeirrt lenkt Merz das Geschehen und treibt es mit atemraubender Geschwindigkeit voran. Wer den Autor kennt, weiß, dass es nicht vieler Worte bedarf, um beim Wesentlichen anzukommen. Diese knappe, präzise und feinsinnige Prosa beweist es wieder einmal.

ADAMS KOSTÜM

Drei Erzählungen von Klaus Merz Mit Zeichnungen von Heinz Egger Haymon Verlag, Innsbruck 2001

92 Seiten, geb., a 15,84

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