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Der Gottfried-Keller-Preisträger Klaus Merz schreibt über die unerschöpfliche Stadt Venedig.

Eiskalte Bora und Möwengeschrei. Der Lagunenwellenschlag scheint sich sogar ins Innere der Markuskirche fortzupflanzen. Oder liegt gar dumpfe Lethargie über der alten Stadt, wie Gaston Salvatore sie diagnostiziert? "Schwindlig schwer ragen die alten Paläste in jeden neuen Tag hinein und ins feuchte Erdreich hinab."

Der Schweizer Schriftsteller Klaus Merz, der für sein Gesamtwerk gerade den Gottfried-Keller-Preis erhalten hat, präsentiert in seinem jüngsten Buch "Löwen Löwen" literarische Impressionen eines längeren Venedigaufenthalts. Diese "Venezianischen Spiegelungen" sind eine Mischung aus poetischem Protokoll, Erinnerungen, Prosaskizzen und lyrischen Miniaturen. Kurze Texte führen durch Alltag und (Sakral-)Kultur der Lagunenstadt und belichten ein feinsinniges Wahrnehmungsgewebe. Manchmal grenzgängerisch ("DER TRAUM HÄNGT MIR / alte Gewichte an. Ich trage / sie in mürben Taschen / durch die morgengraue Stadt..."), manchmal am Sprachrand der Realität. Wortlos abziehende schwarze Händler tragen in ihren feilen Taschen die Nacht heim.

Merz konzentriert sich auf den Ausschnitt und stellt seinen Blick auf kleine Brennweiten ein. Gondoliere durchdringen die Stadt mit Bässen. Angenagten Pfählen nimmt nur die Flut den Schimmer des Gefährlichen. Und natürlich auch der Jännersprung von der Rialtobrücke und hereinschwemmende Karnevalsmasken. Was, wenn die Dämmerung wie Mondstein wahrgenommen wird? Merz zoomt Details heran, doch mit diesen Einzelbeobachtungen stellt er keine Kulisse in einen toten Kitschrahmen, sondern zieht eine atmosphärisch-visuelle Spur durch die Stadt. Ein Stimmungsgemälde kann so aussehen: "DIE POLSTERER POLSTERN, / Ankerseile werden geworfen, / gerafft, ein Sänger singt. / Mit gestauchtem Flügel / hockt die Taube im Staub. Von der Brücke aus malt / Canaletto den Himmel / für den heutigen Tag."

Merz' Blick fixiert Venedigs Leben in vielfältigen Nuancen. Steigendes Wasser und sinkende Fundamente sind Realität: "Kein Aufbegehren, Waten, Warten, / bis alles wieder auftaucht und, / wenn es Zeit ist, untergeht." Andernorts kontrastiert er ein Tankerunglück mit dem Blau des Himmels oder streut eine adventliche Unglücksmeldung über eine Mine in Pristina ein. Immer wieder stößt man auf Reflexionen oder Poetisches über Kunst: "VERONESES GRÜN, Tintorettos Dunkelheit, Tiepolos / Licht und Leichtigkeit. Was ruft eigentlich was / hervor: Die Religion die Kunst - oder umgekehrt? Andernorts heißt es: "Die Engel von San Stae / tragen das Bettzeug als Wolke / auf ihrem Schoß." Merz kratzt altehrwürdige Patina an, einmal im zart ironischen Zweifel, ob auch er der Stadt auf den Leim geht. Doch Klischees bricht er, indem er sie lakonisch aus der Distanz des Betrachters evoziert. Schnörkellos, mit der Kunst der Reduktion lotst er uns zwischen abhebenden Engeln, Fiat und Berlusconi durch Venedig, das mit diesem Buch um eine schöne Facette reicher geworden ist.

Löwen Löwen

Venezianische Spiegelungen

Von Klaus Merz. Mit fünf Vignetten von Heinz Egger. Haymon Verlag, Innsbruck, Wien 2004. 76 Seiten, geb., e 14,40

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