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„Linksschreibreform

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Alarmstufe Rot(-weiß-rot): Linke betreiben Rechtschreibreform. In einem sinnlosen Kampf der Linkshänder gegen die Rechtshändler - die keine Paragraphenverkäufer, sondern Ewiggestrige, die sich hüten Niemorgige zu werden, sind - wird im orthographischen Dschungel von Baum zu „bäum” gekämpft; dabei fällt man vom Regen(wald) in die Traufe.

Es wurde hart, aber herzlos gekämpft:

■ Die Traditionalisten, die - wenn auch vergeblich - um einige Reste deutscher Ausdrücke in den Amerika-nismen unserer Sprache kämpfen, versuchen minimale Differenzen zwischen Recht- und Rechtschreibreform klar zu machen.

■ Gegen diese reaktionär-faschistoide Recht(s)haberei wenden sich alle progressiven Kräfte des Landes, an der Spitze die Krippenräte des anti-autoritären Kindergartens „Multi-kulti statt Lesen-lernen!”

■ Nach der revolutionären Linksschreibreform werden unhaltbare Fehlbehauptungen, wie „Die Linke weiß nicht, was die Rechte tut...” mit sofortiger Wirkung eliminiert; gemeinsam mit ihren Verwendern. Die Überwachung des Verbotes wird dem Verein „Enkel-zweier-Priestergene-rationen” anvertraut.

■ Die neupropagierte Linksschreibreform bevorzugt Analphabeten aus der Vierten Welt, die - bekannterweise - Alphabetisierern aus der Ersten diktieren (müssen). ■ Die (Schein-)Weisheit - „Rechts ist, was rechtens ist, Links ist, was linkisch macht!” - fällt der Linksschreibreform zum Opfer und aus allen Wolken naiver Traditionspflege.

Das Polit-Postulat reformkommunistischer Weltbank-Direktoren -„Links stehen und rechts verdienen!”

- zielt nur auf die hohe Gage wendehalsbrecherischer Seitenwechsler und wird durch die geplante Linksschreibreform schamhaft verschwiegen. Daß der Osten statt „rot”, tot ist, hält die Traurigkeit dieser Marx-Leichenschänder in engen, wenn auch lukrativen Grenzen.

Die Linksschreibreform schmeckt wie die Salzburger Nockerl: In Schönheit erstarrte süße Luft.

Die Sänfte

VON GABRIEL LAUB

Die Ehe ist eine Sänfte, ein Beförderungsmittel, das nicht gerade für das zwanzigste Jahrhundert gedacht war. Wenn es keine Sklaven und keine Untertanen gibt, kann man mit einer Sänfte nicht viel anfangen. Und was sollen zwei Menschen mit einer Sänfte tun? Wollen sie beide sitzen, kommen sie nicht vom Fleck. Wollen sie beide tragen, kommen sie zwar fort, aber wozu brauchen sie dann das Gestell mitzuschleppen, in dem keiner sitzt? Manchmal kann einer den anderen dazu bringen, daß er allein trägt - damit schafft man aber nicht viel, die Sänfte braucht zwei Träger.

Ab und zu kann sich einer der Partner in der Sänfte tragen lassen, wenn sich ein Dritter findet, der mitmacht. Unser Jahrhundert hat die Sänfte geerbt, ein schweres, antiquiertes Stück, und kann es nicht wegwerfen, zumal es noch kein besseres Beförderungsmittel für unsere

Kinder gibt. Wenn Kinder oben sitzen, hat die Sänfte einen Sinn, aber sie wird auch dadurch nicht moderner. Man könnte getrost noch hundert Jahre auf Mondflüge verzichten, könnte man mit den für die Raumfahrt bestimmten Mitteln ein Vehikel für die Kinder - und vielleicht auch für uns - bauen, das moderner wäre als die alte Sänfte.

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