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Mission unter Sozialisten

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Günther Nenning, Sozialist, oft durch sehr persönliche Stellungnahmen in und außerhalb seiner Partei aufgefallen, bringt hier eine selten gestellte Frage zur Sprache.

Die Redaktion

' In den ersten Tagen dieses Jahres

kamen die Sternsinger der örtlichen

Pfarre zu mir und sammelten für

die Mission in Tanganjika und

Korea.

Ich bin dafür.

Aber ich bin dagegen, nur in die Ferne zu schweifen, wenn die Heiden doch so nah.

Ich bin leidenschaftlicher Sozialist, aber ungewiß, ob ich anders Christ bin als durch Taufschein und vage Begierde. Ich vermute, daß es in unserer Partei kaum weniger Missionsobjekte gibt als in Tanganjika und Korea. Ab^r wer kümmert sich um sie so heftig wie um die in Afrika und Asien?

Ich glaube fast, hier wäre wieder einmal Artlaß, als vernachlässigter Mitteleuropäer eifersüchtig zu sein auf die von jedermann umschwärmten Neger und Chinesen.

Doch Spaß beiseite. Die paulini-sche Aussendung „ferne unter die Heiden“ ist wohl nicht geographisch zu verstehen, sondern geistig. „Das Ende der Erde“, bis an welches die christliche Mission gelangen soll, beginnt schon in Favoriten, Otta-kring, Wiener Neustadt, Kapfenberg.

Anders als gegenüber den Eingeborenen schwarzer oder gelber Hautfarbe ist das christliche Missionsbedürfnis gegenüber den Eingeborenen roter Parteifarbe ein merkwürdig introvertiertes. Man geht nicht hin und lehrt sie, nein, man bleibt schön unter sich und sagt: Kommt her, sonst geschieht euch recht, wenn ihr ohne Lehre bleibt.

Richtig unter die Leute, von Wohnungstür zu Wohnungstür, gehen nur noch die Mormonen.

Ich weiß, daß in diesen meinen Behauptungen viel Ungerechtigkeit steckt. Ich weiß auch, daß die vorsichtige Haltung der Kirche unter anderem aus der Befürchtung stammt, ansonsten Schwierigkeiten zu haben, zum Beispiel politische, wie sie bisher so glücklich und verdienstvoll vermieden wurden.

Aber Schwierigkeiten zu haben ist — anderseits — geradezu eine Definition für das Schicksal des Christen in dieser Welt.

Ich gehe daher nicht davon ab, daß die Mission unter Sozialisten auf seltsame Weise vernachlässigt wird. Ich kann verstehen und ich habe grenzenlose Hochachtung davor, daß jeder Missionar bereit ist, sich um .Christi willen in der Ferne totschlagen oder auffressen zu lassen. Ich kann hingegen nicht verstehen, warum daheim das etablierte Christentum mit mimosenhafter Zimperlichkeit reagiert, wenn sich herausstellt, daß die Ansichten und Bräuche der Sozialisten einigermaßen anders sind als die, sagen wir, der Katholiken in der ÖVP.

Ein Missionar bei den Feuerländern oder sonstwo läßt sich erst einmal in den Stammesverband aufnehmen, vorne und hinten bunt bemalen, lernt die Trommel schlagen und auf gehörige Weise dazu tanzen — nur damit er den betreffenden Gotteskindern auf ihre Weise nahekommt, ihr Vertrauen gewinnt,als die einzige Grundlage, seine Botschaft mit Wirkung anzubringen. Ich halte das für richtig und bewundernswert.

Daheim aber heißt es: Ändert erst einmal euer Parteiprogramm bis es identisch ist mit dem kleinen Katechismus, werdet erst einmal ganz von selber Christen, dann werden wir uns vielleicht herbeilassen, euch zu akzeptieren.

Ich weiß schon, daß dies wiederum sehr übertrieben ist. Ich weiß, daß ich für den polemischen Augenblick alle die Bemühungen übersehen habe, mit den Sozialisten ernsthaft ins Gespräch zu kommen. Ich weiß auch, daß mir jeder um ein solches Gespräch Bemühte saftige Beispiele entgegenhalten kann, wie sehr manche Sozialisten dieses Gespräch behindern.

Aber gerade für jene, die dieses Gespräch dennoch wollen, wiederhole ich: Denkt bitte nach! Laßt euch durch obige Überspitzungen provozieren! Glaubt mir, es steckt ein kräftiger Kern Wahrheit darin.

Wer bereit ist, sich in der Ferne auffressen zu lassen, muß bereit sein, daheim viel geringere Unannehmlichkeiten zu ertragen. Wer bereit ist, in der Ferne in fremde Stammesverbände einzutreten, muß bereit sein, daheim — desgleichen zu tun.

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