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Nach der satirisch-phantastischen Kleinstadtgeschichte „Ljubimow“ bringt der Paul-Zsolnay-Verlag jetzt sämtliche Erzählungen von Terz-Sinjawski heraus. Das poetische Werk des bedeutenden russischen Literarhistorikers, Ikonenspezialisten und Essayisten ist verhältnismäßig schmal, aber bedeutungsvoll und vielschichtig. Vom einfachen Monolog in der Art Leo Tolstois über Whitmansche Hymnik bis zu Kafkascher Wirklichkeitsaufhebung reicht sein stilistischer Radius. Diese Kunstmittel, die in der Sowjetunion trotz Majakowski und Babel neu zu sein scheinen, sind im Westen alltäglich geworden, ja sogar schon ein wenig abgenützt. Aber wie Abram Terz so typisch russische Stoffe wie etwa den der „Graphomanen“ darein verpackt, übt einen starken fremdartigen Reiz, der bis zur Schmerz-haftigkeit gesteigert wird, wenn man das menschliche Schicksal dieses Autors bedenkt, der von der Natur dazu geschaffen scheint, ein durchaus gutartiger und heiterer Satiriker zu sein — und dessen Reis so bitter schmeckt. (Die gut lesbare Übertragung besorgten Eduard Sus-lik und Anna Morawec.)

STAUB. Roman Ton Heinrich Kraus. Paul-Zsolnay-Verlar. 308 Seiten. S 140.—.

Der Autor dieses Romanerstlings ist Saarländer und 1932 geboren. Vorher schrieb er Hörspiele, Erzählungen und Mundartlyrik. Die hier erzählte Geschichte ist einfach und fast alltäglich, wenn auch nicht gerade typisch: Ein junger Deutscher, der sich in der bürgerlichen Welt nicht wohl fühlt, kommt nach Paris und muß sich dort mit dem nackten Elend: härtester Entbehrung, Clo-chards, Gammlern und anderen Elementen rund um die Place Pigalle, „arrangieren“. Das Ergebnis dieses Abstiegs in die Unterwelt ist Ekel (La nausee). Der Inhalt des Romans wirkt ein wenig pubertär, die Form ist stellenweise die des Frühexpressionismus, etwa in der Art des Elsässers Rene Schickele —, nur hat man sich damals noch ein wenig gewählter ausgedrückt. Doch es gibt auch feinere lyrische Stellen in dem wenig erfreulichen Buch, so die an einen bekannten alten Spruch anklingende: „So geht man und weiß nicht wohin. So lebt man und ahnt nicht wozu. So leidet man und spürt nicht warum.“

SINDBAD. REISEN IM DIESSEITS UND JENSEITS. Von GtuI» Srudv. Paul-Zsolnay-Verlag. 305 Seiten. S 130.—.

Unter dem Titel „Visionen eines ungarischen, Patrioten“ wurde anläßlich der deutschen Erstausgabe der „Roten Postkutsche“ die Persönlichkeit dieses originellen, kauzigen und zugleich national-repräsentativen ungarischen Schriftstellers in

der Nummer 3/1967 der „Furche“ ausführlich gewürdigt. — Die in diesem Buch geschilderten Abenteuer Sindibads (mehr als drei Dutzend) sind teils vor, teils nach dem Hauptwerk Krudys entstanden. Wohl finden wir in diesen Geschichten Motive aus „Tausendundeiner Nacht“ und autobiographische Züge des Menschen Krudy (1879 bis 1933), doch hat sich dieser halb ernsthaft, halb ironisch dagegen verwahrt, mit seinem melancholischen Frauenhelden identifiziert zu werden. Der besondere Reiz von Krudys Erzählungen liegt in der Legierung von Traumhaft-Phantastischem und Abenteuerlichem mit einer altertümlich stilisierten Geziertheit des Vortrags. György Sebestyen, dem wir die Übertragung des als unübersetzbar geltenden Hauptwerkes von Krudy verdanken, hat zu diesem Buch, das Franz Meyer übersetzte, ein kluges Nachwort geschrieben, in dem er unter anderem auf einen sehr charakteristischen Seelenzustand des passiven Helden Sindbad-Krudy aufmerksam macht: Die altersbedingte Depression zwischen dem 35. und dem 45. Lebensjahr...

EIN IDIOT IN PARIS. Roman von Rene Fallet. Paul-Zäolnay-Verlar. S7S Seiten. S 110.—.

Auch diese Geschichte spielt in Paris. Sie ist zwar wesentlich einfacher als die des Saarländers, da-

zu Deutsch ein Dorftrottel, aus dem Bourbonnais, wo er als Landarbeiter lebt, wird von zwei Lastwagenfahrern und Spaßvögeln nach Paris mitgenommen und geht dort verloren. Anfangs ist er todunglücklich, aber dann findet er sich allmählich zurecht und Gefallen an der Großstadt, ja er macht eine glänzende, wenn auch ein wenig anrüchige Partie, kommt allmählich (aber für den Leser überraschend) zu Verstand und kehrt mit Braut und viel Geld in seinen Heimatort zurück, wo er Hofbesitzer wird: „Sie lebten glücklich miteinander und hatten zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, die

weder ein Bredin noch frei von Tugend waren.“ Ein modernes Märchen also, dessen Autor bereits mit 23 Jahren mit dem Prix Populiste und darnach mit dem Prix Interallie ausgezeichnet wurde. (Es gibt viele Literaturpreise in Frankreich und für alles ein passendes klassisches Motto. Diesem Buch zum Beispiel ist ein Wort von Giraudoux vorangestellt: „Denn man soll nicht glauben, daß Idioten dümmer wären als andere!“) Die Übersetzung von Ingebong Schenk liest sich gut und scheint den gewollt primitiven Stil des Autors geschickt wiederzugeben.

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