Nichts ist, wie es scheint

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In Wilfried Ohms Roman "Chimären" wird Fälschung zum Leitmotiv eines Lebens.

Im Leben von Robert Schwartz ist nichts wie es scheint. Offiziell ist er frei schaffender Maler, tatsächlich arbeitet er höchst erfolgreich als Kunstfälscher im Auftrag eines italienischen Händlers, was nicht einmal seine Frau Alexandra weiß, die lange Zeit über auch keine Ahnung hat, dass Schwartz ein Verhältnis mit der verheirateten Koreanerin In-Hee pflegt.

Umgekehrt weiß aber auch Schwartz, der mit seiner Familie auf Zeit in Seoul lebt, nichts von den Geheimnissen seiner Umgebung: von der ersten Pubertätsliebe und-not seiner dreizehnjährigen Tochter Esther etwa oder davon, dass Alexandra, die eine Germanistik-Gastdozentur an einer Uni in Seoul hat, in der überfüllten U-Bahn im Stehen ein flüchtiges Schnell-Sexabenteuer mit einem Unbekannten absolviert und darüber hinaus Trost in den Armen einer Uni-Kollegin sucht. Schwartz' koreanischer Zwischenhändler in Sachen Kunstfälschung entpuppt sich zu spät als Interpol-Fahnder und seine Geliebte In-Hee ist ihm zwar sehr zugetan, hat aber zu keinem Zeitpunkt vor, ihren koreanischen Unternehmer-Ehemann seinetwegen zu verlassen.

Schwartz ist der widersprüchliche Held, den der Grazer Autor Wilfried Ohms, Jahrgang 1960, ins Zentrum seines neuen Romans Chimären stellt. Chimären sind es, denen Ohms Protagonist nachjagen; aus Chimären besteht umgekehrt das gesamte Leben, das er für diesen geschaffen hat.

Fälschung und Original

Fälschung und Original, Sein und Schein sind die großen Themen von Chimären, und Ohms wandelt sie in vielerlei Variationen ab. Die Kunstfälschung, mit der Schwartz sich über seine Frustration, als Maler keine eigene Handschrift gefunden zu haben, hinwegtröstet, erreicht auf dem Umweg über den Alltag in Schwartz' Bewusstsein einen Status, in dem ihm "nichts Unrechtes mehr" daran auffallen will. "Was er produzierte, war beste Handwerksarbeit, die ebenso viel Können verlangte wie die des Meisters, der das Original schuf", findet Schwartz trotzig und weiß dabei genau, dass es zumeist des Fälschers Eitelkeit ist, die diesen zu Fall bringt: der Wunsch nämlich, man möge erfahren, dass er der Urheber des für unmöglich Gehaltenen ist, etwa der Schöpfer der am Flohmarkt unverhofft aufgetauchten Schiele-Bleistiftzeichnung oder jenes Seidenrollbildes aus dem alten Korea, an dem Schwartz auf eigene Rechnung arbeitet. So wie mit jeder Fälschung ein Stück von seinem eigenen Stil als Künstler verloren geht, bemerkt er auch zu spät, dass die Fälschung zum Leitmotiv seines Lebens geworden ist.

Remixed, remastered

Die Raffinesse von Ohms Roman besteht aber nun darin, den Fälscher nicht bloß als solchen zu entlarven und die Geschichte dadurch mit einer sauren Moral zu durchtränken, nach der Lug und Trug niemals Basis von authentischem Leben und Empfinden sein dürfen. Stattdessen zeigt Ohms, wie sich ein Mensch gänzlich im Falschen einrichtet - und zwar durchaus nicht nur zum Schlechten. Denn "in einer Zeit, in der remixed, gesampled und remastered wurde wie nie zuvor" und "das fake Kultstatus genoss", verschwimmen die Grenzen zwischen Original und Fälschung genauso wie jeder Mensch in Wahrheit ein Leben lang vergeblich auf der Suche nach dem Echten und Wahren seines Wesens ist.

Jeder ist vieles und viele, wird vom Schicksal und den Ereignissen zugerichtet und findet sich an Orten wieder, die er niemals für sich selbst vorhergesehen hätte. Dass Ohms seinen Helden nach Monaten an einem Besinnungsort als Ausweg aus seiner Situation erst recht wieder heiter zur Kunstfälscherkarriere zurückfinden lässt, ist dabei weniger Ironie als folgerichtige Konsequenz.

Chimären

Roman von Wilfried Ohms

Verlag Leykam, Graz 2007

149 Seiten, geb., € 18,40

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