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'Gutmenschen' tut nicht weh und klärt auch nichts. Das muss es auch nicht. Immerhin ist es das, was Theater leisten kann: uns unsere Überforderung und Hilflosigkeit vorzuführen.

Yael Ronen, die gefeierte israelische Autorin und Regisseurin mit Wohnsitz in Berlin, hat mit ihrem Ensemble für das Wiener Volkstheater ihr drittes Stück entwickelt. In "Gutmenschen" legt sie den Finger wieder behutsam in drängende Probleme der Gegenwart. Am Ende bleibt als Einsicht nur die Überforderung des Einzelnen.

Die Besonderheit des Theaters von Yael Ronen ist es, aus dem Er-Leben der Menschen, mit denen sie arbeitet, Theater zu machen. Stets bringen ihre Schauspieler ihre Biographie mit auf die Bühne, sodass lebensnahes Theater entsteht, mit Figuren ganz unterschiedlichster postindustrieller Lebensstile. Wir begegnen Bastelbiografien mit hohem kulturellem Kapital oder Figuren mit einem Selbst als dem wichtigsten Projekt oder am Konsum orientierten Identitäten, hippen Netzwerk-Subjekten, usw. Dabei verschwimmt in ihrem Theater die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit beträchtlich. Weil das Ineinanderfließen von Theater und erlebter Wahrheit so gewollt ist, ist ein Satz wie der aus dem aktuellsten Stück, wo es heißt: "Das ist zwar mein Text, aber zufällig auch meine Meinung" nicht nur keine Seltenheit, sondern eigentlich Programm.

"Gutmenschen", das nun am Volkstheater Premiere hatte, ist die Fortsetzung jener fulminanten Familiengeschichte aus "Lost and Found", in der uns Ronen 2015 an gleicher Stelle beobachten ließ, wie das spätmoderne Subjekt sich sein Leben formt und noch mehr, wie es durch aktuelle Ereignisse geformt wird. Wir erinnern uns: Damals wurde die Arbeit am Selbst durch die Flüchtlingskrise gehörig durcheinander gebracht. Yousif Ahmad, der vor dem IS aus dem irakischen Mossul nach Wien geflohene Cousin, stand eines Tages vor der Tür einer am Volkstheater engagierten Schauspielerin. Hier nun setzt Ronens Sequel zwei Jahre später an. Cousin Yousif lebt seither bei Cousine Maryam und deren Patchworkfamilie, deren Mitglieder wir teilweise schon kennen, in Wien. Er darf nicht arbeiten, leistet aber, um seine Integrationsfähigkeit unter Beweis zu stellen, Freiwilligenarbeit in einem Altersheim, wo er den Bewohnern ausgerechnet Thomas Bernhard vorliest. Maryam ist Bloggerin und hat einen Bruder, Elias und ein Kind von Schnute, der in einer Beziehung mit Moritz lebt, was Schnutes Mutter, wie so vieles andere auch, nicht wahrhaben will. Elias lebt mit Klara, der Sängerin aus betuchtem Hause, zusammen.

Wenn das Stück beginnt, werden letzte Vorbereitungen getroffen für die Live-Schaltung einer Reality Show auf Dietrich Mateschitz' Servus-TV. Der Hersteller eines Energy-Drinks hat Interesse am "wahren Leben" und noch mehr an Maryams 50.000 Followern. Mehr zufällig hält sie unversehens Yousifs Asylbescheid vom österreichischen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Händen. Der negative Bescheid zwingt die Mitglieder zum Handeln. In bester Boulevardtradition besteht das Stück nun in der wortreichen Erörterung dessen, was zu tun sei, damit nicht eintrifft, was nicht sein kann und nicht sein darf. Ronens Verdienst ist es nun, ihre Figuren nicht nur als selbstlose gute Menschen zu zeigen, sondern sie mit trockenem Humor in all ihrer Widersprüchlichkeit auch als Menschen vorzuführen, denen trotz aufrichtiger Empathie, Anstand und Engagement mitunter das eigene Hemd doch näher ist.

Der nur 90 Minuten kurze Abend tut nicht weh, klärt aber auch nichts. Das kann er wohl und muss er auch nicht. Immerhin ist es das, was Theater leisten kann: uns unsere Unzulänglichkeit, Überforderung und Hilflosigkeit vorzuführen. Und vielleicht könnte das ein erster Schritt sein, sie zu überwinden.

Gutmenschen Volkstheater, 23., 25. Feb., 7., 9. März

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