Paradiesische Zustände

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In Sybille Bedfords federleicht-elegantem Reisebuch wird das Mexiko der späten 1940er Jahre zu einem exotischen Land voller Fellini-Charaktere.

Nichts wünscht man sich sehnsüchtiger, als dass einem selbst einmal jene Art von grenzenloser, feinsinniger Gastfreundschaft entgegenschlagen möge, der Sybille Bedford und ihre Freundin E. Ende der 1940er Jahre in Mexiko auf der Hacienda von Don Otavio - einem Verwandten von Freunden eines Freundes - begegneten: "Wir sind heilige Kühe - Gäste im Haus eines mexikanischen Gentleman."

Da erscheinen frühmorgens Boten mit einer Kamelieblüte - "diesen Morgen aufgeblüht" - oder mit dem Auftrag, gesattelte Pferde und Kanus anzubieten, oder mit besorgten Nachfragen, "ob wir überhaupt geschlafen hätten, ob zum Frühstück etwas Essbares dagewesen sei, ob wir einigermaßen gut aufgelegt seien". Dann, nach Messe und Morgentoilette, macht der Hausherr selbst - "sein Gesicht … eines jener schönen Antlitze aus alten Familien, wie Goyas kleine Höflinge sie haben" - seine Aufwartung, lässt sich für eine kurze Plauderei auf der Chaiselongue nieder, um sich "im rechten Augenblick, oder vielmehr ein bisschen früher" wieder zu erheben und wieder zurückzuziehen.

Seit 30 Jahren ruiniert

Dieser Don Otavio "ist seit 30 Jahren ein ruinierter Mann", in seinem pittoresk hinfälligen, abseits gelegenen ländlichen Anwesen mit Blick auf den Chapalasee und einen "Garten, weiß und rot von Kamelien-, Jasmin- und Oleanderblüten und Granatäpfeln" dirigiert er nach Art eines gütigen Feudalherren eine große Schar von Dienstboten. Wochenends kommen seine Verwandten aus der Stadt zu Familientreffen, die von lautstarken Kapellen, vielgängigen Diners und den Besuchen skurriler Nachbarn begleitet werden. Es ist eine Welt, die auch zu der Zeit, als Sybille Bedford ihr begegnete, schon längst untergegangen war: Eine Enklave aristokratischen Landlebens aus dem 19. Jahrhundert in der Mitte des 20., die durch ein Reihe von Zufällen in Don Otavio überlebt hatte: " … den Lunch heute im Ostzimmer, das Geißblatt blüht nämlich am Fenster." Für Gäste sind es paradiesische Zustände.

Unwiderstehlicher Zauber

Mag Sybille Bedford, die deutsch-britische Kosmopolitin und femme à lettres (1911-2006), auch Jahre später zu Bruce Chatwin gesagt haben, dass es sich bei ihrem zauberhaften Buch "Zu Besuch bei Don Otavio" "natürlich um einen Roman" und weniger um einen Reisebericht handle, so wäre die Geschichte ihrer Mexiko-Reise - egal ob dokumentarisch oder semi-fiktiv - gleichermaßen von unwiderstehlichem Zauber, voll von farbenprächtigen Schilderungen und durchdrungen von wunderbar elegantem Humor.

Feststeht, dass Bedfords Mexiko-Reise stattgefunden hat und mehr als ein Jahr dauerte: Der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Gemeinsam mit einer Freundin fährt sie per Zug von New York gen Süden. Im Gepäck haben die zwei nicht viel mehr als "ein Glas geräucherten Rehfleischs" und "ein Fläschchen Gin, eine Thermosbox mit Eiswürfeln, etwas Angostura und … die Woolworth-Gläser, die längst die silbergefaßten, geschliffenen Reisebecher abgelöst haben, mit denen unsere Vorväter durch eine bessere Welt gereist sind".

Was diesem "pink-gin"- getränkten Auftakt folgt, sind Bedfords hellwache und hochkomische Beschreibungen halsbrecherischer Busfahrten, wunderlicher Restaurant- und Hotelbesuche und skurriler Reisebekanntschaften ("Sind wir für jeden Sonderling an diesem mexikanischen See Freiwild?"), herrlicher Landschafts-Szenerien und Zwischenfälle, immer wieder unterbrochen von klugen historische Exkursen in die mexikanische Geschichte und den wiederholten berauschenden Aufenthalte bei Don Otavio.

Bedford ist unaufgeregt im Ertragen aller Reisestrapazen zwischen Pazifik- und Atlantikküste, niemals herablassend in ihren Menschenbildern, besitzt einen scharfen Blick fürs Eigentümliche und ist gleichzeitig eine hemmungslose Genießerin. "Sie reisen morgen ab, nicht?", wird sie zum Ende ihre Reise hin von einer Verwandten Don Otavios gefragt, die auch gleich hinzufügt: "… Für lange?" So willkommen darf man sich selten fühlen, so schön ist das selten beschrieben worden.

Zu Besuch bei Don Otavio

Eine mexikanische Reise. Von Sybille Bedford. Vorwort von Bruce Chatwin. Aus d. Engl. v. Christian Spiel. Verlag Schirmer Graf, München 2007. 430 Seiten, geb., € 24,80

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