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Pawlatschen-Renaissance

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Seit 1959 schlägt das Wiener Pawlatschentheater alljährlich seine Bretter auf, um den Theaterbeflissenen aus dem In- und Ausland etwas spezifisch Wienerisches vorzusetzen: eine jener Parodien aus der Maria-Thereisianischen Zeit oder dem Vormärz, liebenswürdige Gaben der Votksmiuse, wie sie bei den waschechten Wienern und Wienerinnen so beliebt waren. Diesmal spielt man im Rettschulhof neben der Schönbrunner Wagenburg, des Hofkanzlisten Franz Xaver Gewey (1764 bis 1819) Parodien in Knittelversen „Pigmalion oder die Musen bei der Prüfung“, bearbeitet von Ruth Kerry, mit Musik nach Wenzel- Müllerschen Motiven von Kurt Werner. Es dauert zunächst eine

Weile, ehe Hanswurst, hier ein Bildhauer mit Künstlernamen Pigmalion, in komische Rage gerät und Apoll und Venus dahinbringt, die von ihm geschaffene bildschöne Galathee zum Leben zu erwecken. Dann freilich (wenn sich Ybbs auf Gips, Bier auf Vampir, Mappen auf Pappen reimt) beginnt es richtig lustig zu wenden, und Hanswurst Harry Fuss löst durch seine quicklebendige Gewandtheit und Zungenfertigkeit,

helles Vergnügen aus. Dem Paar Pigmalion-Galathee (reizend Gerti Gordon) steht die weit derbere Pos- senhaftigkeit des Paares Riepel- Xanthippe gegenüber. Ihm leiht Franz Muxeneder seine vis comica, während Gusti Wolf als groteske Xanthippe mehr Philipp Hafners vorjähriger „Megäre, der förchterlichn Hexe“ nacheifert. Sehr komisch das (um eine Spur zu lange) Examen der keiflüstemen Musen vor Apollo, unter ihnen besonders die in orgelndem Tragödinnenlamento schwelgende Melpomene, Muse des Trauerspiels (Eva Servaes), und die quiekende, orgiastischen Dirigentenzuk- kungen huldigende Euterpe, Muse der Tonkunst (Trude Ackermann). Apollo (Oskar Wegrostek) gleicht mehr einem an Leibesumfang kaum zu unterschätzenden gemütlichen „Bieiversilberer“, während Paula Pflüger ihre prachtvoll aussehende Venus mit einem hantigen Haus- meisterinnenorgan ausstattete. Über allem waltet Gandolf Buschbeck als bewährter Regisseur, dem Erni Kniepert Dekorationen und Kostüme gezaubert hat.

Dem aufdämmernden Zweifel, ob denn das Vorstadtpublikum von einst den Witz, der mit Göttern und Mythen getrieben wurde, wirklich mit so herzhaftem Lachen quittiert hat, begegnet die Wiener Theaterhistorikerin Prof. Margret Dietrich in einer demnächst erscheinenden Studie „Jupiter in Wien“, mit dem Hinweis, daß es „im Anschluß an die pompösen Barockopem und an die französische Klassik des 17. Jahrhunderts mit ihren Antikestoffen im Jahrhundert der Aufklärung“ auf den Jahrmarktsbühnen von antiken Gestalten nur so gewimmelt habe, die „auf ihre Weise die Kenntnis der mythologischen Figuren und Geschehnisse lebendig erhielten“. Das Publikum gibt sich damit zufrieden und findet seinen Spaß an der raffiniert zurechtgemachten Primitivität des Pawlatschentheaters von heute.

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