Reportagen wie Romane

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Ilija Trojanow präsentiert ausgewählte Geschichten, Notizen und Reportagen des verstorbenen polnischen "Reporters des Jahrhunderts".

In Zeiten gewaltiger Umbrüche simuliert der Nackte-Fakten-Journalismus eine Übersicht, die der Unordnung der vorbeirauschenden Ereignisse nicht gerecht wird. Das, so schreibt Ilija Trojanow im Vorwort des von ihm herausgegebenen Bands "Die Welt des Ryszard Kapuscinski", sei Kapuscinski irgendwann im Laufe seines Reporterlebens bewusst geworden. Es ist auch der Grund dafür, so Trojanow, warum Kapuscinski dazu übergegangen sei, Menschen so zu beschreiben, als seien sie Romanfiguren, und die Dialoge und Szenen seiner Reportagen aus Afrika, Asien oder Südamerika so anzulegen, als gehörten sie zu Theaterstücken oder Kurzgeschichten.

Der polnische Reporter (1932-2007) erlaubte sich "das freie Arrangement des Materials", um auf diese Weise der Komplexität des von ihm Geschilderten näher zu kommen. Denn Kapuscinski wusste, wie er selbst in seinen Notizbüchern schreibt, "dass eine Tatsache, herausgerissen aus dem breiten Kontext der Unwägbarkeiten, herausgeschält aus dem ganzen Theatrum, in das sie eingebettet war, ohne das Klima und die Stimmung, die sie begleiten, nicht viel aussagt und wenig bedeutet, oft sogar einen falschen Sinn und eine irreführende Aussage bekommt."

Also verlegte Kapuscinski sein schreiberisches Hauptquartier schon früh in das Zwischenland zwischen Fiktion und Reportage, entwickelte sich dort zu einem begnadeten Erzähler und schuf jenen unverwechselbaren Ton, der ihm den Beinamen "Reporter des Jahrhunderts" einbrachte und ganze Legionen von Nachgeborenen beeinflusste.

Reisender Schriftsteller

Von diesem Erzähler war auch Ilija Trojanow - wie Kapuscinski Reisender und Schriftsteller - stets fasziniert. Es lag nahe, dass Trojanow nach Kapuscinskis Tod im Jänner 2007 zum Herausgeber eines Kapuscinski-Lesebuchs mit ausgewählten Geschichten und Reportagen wurde; Trojanows Lieblingsstücken aus dem Werk von Kapuscinski.

Dieser Reader erlaubt einen Einblick in Kapuscinskis Schreiben und Denken. Er mag Kapuscinski-Neulingen als Einstiegsdroge in ein großes Werk dienen und Aficionados an Jahre zurückliegende Leseerlebnisse erinnern. Jedenfalls ist der Auswahlband eine gelungene Hommage. Er enthält zum Beispiel Ausschnitte aus Kapuscinskis halluzinatorischer Beschreibung der beklemmenden, paranoiden Verhältnisse am Hof des äthiopischen Kaisers Haile Selassie (aus "König der Könige") oder führt zurück nach Angola in den ersten Tagen nach der Unabhängigkeit, als die nunmehrigen Ex-Kolonialherren aus Portugal überstürzt das Land verließen und die Hauptstadt Luanda ein einziges Hämmern und Tischlern von Umzugskisten war (aus "Wieder ein Tag Leben"). Daneben lässt sich auch - vor allem anhand der von Kapuscinski geführten Notizbücher - Kapuscinskis Entwicklung als Reporter verfolgen, die in erster Linie eine vom Kriegs- und Konfliktberichterstatter hin zum Alltagschronisten in Zeiten von Staatsstreichen und Revolutionen war - in seinen eigenen Worten: "Früher faszinierte mich die Front - ausschließlich die Front, an der Front zu sein, darüber zu schreiben. Jetzt interessiert mich immer mehr eine andere Seite des Konfliktes, nämlich die Normalität in der Ausnahmesituation, das hartnäckige, fast instinktive, gleichzeitig jedoch energische, erfindungsreiche und zielgerichtete Streben des Menschen nach Normalität in einer nicht normalen Situation." Gleichzeitig wird klar, mit welcher empathischen Bereitschaft sich Kapuscinski selbst den extremsten Leben- und Überlebensbedingungen aussetzte, um die Stoffe für seine Bücher und Reportagen zu finden.

DIE WELT DES RYSZARD KAPUSCINSKI - Ausgewählte Geschichten und Reportagen. Vorgestellt von Ilija Trojanow

Eichborn Verlag, Berlin 2007

276 Seiten, geb., € 20,60

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