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Vor 100 Jahren wurde Mascha Kaléko geboren, die Großstadtdichterin.

Sie erschien mit Tucholsky und Kästner zusammen auf Schallplatten, war ringelnatzig und ein wenig auch morgensternisch rüde und schließlich eine Frau ..." Ingeborg Drewitz stellte in ihrem Nachruf die Dichterin gleichrangig neben ihre männlichen Kollegen.

Mehr als 200.000 Exemplare von Mascha Kalékos erstem Buch Das lyrische Stenogrammheft aus dem Jahr 1933 sind bisher verkauft worden. Heute zählt die am 7. Juni 1907 in Chrzanów in West-Galizien geborene Mascha Kaléko zu jenen Schriftstellerinnen, deren literarischer Erfolg in der Zwischenkriegszeit nach Verbot und Exil in der Nachkriegszeit allmählich verblasste, zumal sie Deutschland nach 1945 zwar besuchte, aber nicht zurückkehrte. Ihre Lyrik aus dem Exil und den späten Jahren ist erst zu entdecken, denn sie ist mehr als die wahrscheinlich einzige "deutsche Großstadtdichterin".

Unveröffentlichte Texte

Lust auf diese Entdeckung macht die neue Biografie von Jutta Rosenkranz, die rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag der Autorin erschienen ist, einen gut recherchierten Einblick in die Lebens- und Werkgeschichte von Mascha Kaléko vermittelt und zahlreiche unveröffentlichte Texte und Fotos enthält. Die Biografin kann sich dabei auf den umfangreichen Nachlass beziehen, den Gisela Zoch-Westphal dem Literaturarchiv Marbach übergeben hat. Während Kaléko alle beruflichen Dokumente wie Verlags- und Zeitungskorrespondenzen penibel sammelte, vernichtete sie allzu Privates wie Briefe ihres zweiten Ehemannes gemäß ihrer Devise "Anstatt der üblichen Statistik / Gönnt der Autorin etwas Mystik!" Da wundert es nicht, dass die eigenen Angaben über ihr Geburtsjahr nicht stimmen und sie sich meist jünger machte, zumal sie offenbar - wie alle Zeitzeugen berichten und die Fotos dokumentieren - bis ins Alter mädchenhaft jung aussah.

Über ihre Kindheit hat Mascha Kaléko geschwiegen. Sie ist sieben Jahre, als die Familie 1914 nach Deutschland auswandert und sich nach Stationen in Frankfurt und Marburg nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin niederlässt. "Ein Fremdling bin ich damals schon gewesen", bekennt sie in einem ihrer wenigen Gedichte, in dem sie Autobiografisches preisgibt.

Mascha beginnt mit sechzehn Jahren eine Bürolehre im "Arbeiter-Fürsorgeamt der jüdischen Organisationen Deutschlands". Mit ihrer Büroarbeit, die sie bis zu ihrer Emigration ausübt, verdient sie ihr Geld. Nach Büroschluss besucht sie das "Romanische Café", trifft dort die intellektuelle und literarische Bohème Berlins und besucht als Gasthörerin Abendkurse an der Universität. Zwei Jahre kennt sie den Philologen und Sprachlehrer Saul Kaléko, als sie ihn 1928 heiratet. Sie ist knapp über zwanzig Jahre, als ihre ersten Gedichte und Kurzprosatexte in verschiedenen renommierten Zeitungen erscheinen, zu deren Markenzeichen die präzisen und ironischen Alltagbeobachtungen ebenso zählen wir ein sozialkritischer melancholischer Ton. Sie ist eine illusionslose Chronistin des Lebensgefühls der Zeit, eine "neue Frau", ein "Mädchen an der Schreibmaschine". Ihre Bücher sind kleine Bestseller, bis sie verboten werden. Auch ihre privaten Probleme werden bedrängend, als sie sich in den Musiker Chemjo Vinaver verliebt, von ihm einen Sohn bekommt und sich von ihrem Mann scheiden lässt. Mit ihrer großen Liebe emigriert sie über Paris nach New York, wo die Familie - abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel in Hollywood - bis zu ihrer Übersiedlung nach Jerusalem im Jahr 1959 wohnt.

Das Leben im Exil gestaltet sich in der Familie Kaléko-Vinaver traditionell. Der Künstler Chemjo Vinaver erweist sich wenig alltagstauglich, sucht ständig nach Arbeit und hat nur bescheidene finanzielle Einkünfte, dafür aber künstlerischen Erfolg, während die praktische Organisation des Überlebens Mascha Kaléko obliegt, die unter anderem Werbetexte verfasst.

Die Sehnsucht nach Europa begleitet Mascha Kaléko ein Leben lang, sie fühlt sich nirgends zuhause, außer in ihrer Familie: "Zur Heimat erkor ich mir die Liebe." Zu ihren wenigen Freunden in New York zählen Johannes und Gertrude Urzidil und Kurt Pinthus, mit dem sie stundenlang telefoniert. Nach Kriegsende verfolgt sie kritisch und skeptisch die Entwicklung im Nachkriegsdeutschland, das sie erstmals 1956 besucht. Sie wird gefeiert, das Medieninteresse ist groß, die Bücher werden wieder aufgelegt und wenn sie ihr Gedicht Chor der Kriegerwaisen aus dem Jahr 1933 vorliest, beziehen es ihre Zuhörer auf die Gegenwart: "Und spielt ihr Soldaten, wir machen nicht mit; / Denn wir haben ein gutes Gedächtnis!"

Mascha Kaléko hat ein gutes Gedächtnis, deshalb verweigert sie 1959 die Annahme des mit viertausend Mark dotierten Fontane-Preis der Berliner Akademie der Künste, weil der Direktor Hans Egon Holthusen Mitglied der SS war. Während ihr Sohn erste künstlerische Erfolge als Theaterregisseur in Europa und Amerika feiert, gibt Mascha Kaléko dem Wunsch ihres Mannes zur Übersiedlung nach Jerusalem nach, fühlt sich dort aber nicht wohl, wie der pessimistische Ton ihrer späten Gedichte bezeugt. Nach dem frühen Tod des Sohnes 1968 und dem Tod des Ehemannes 1973 verliert die Dichterin jegliche Hoffnung: "Wohin ich immer reise, / Ich komm nach Nirgendland." Am 11. Jänner 1975 stirbt Mascha Kaléko an Magenkrebs in einer Zürcher Klinik.

Mascha Kaléko

Biografie von Jutta Rosenkranz

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007. 300 S., brosch., € 15,-

Mein Lied geht weiter

Hundert Gedichte

Von Mascha Kaléko

Ausg. und hg. von Gisela Zoch-Westphal. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007. 158 S., kart., € 6,20

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