6768019-1968_42_13.jpg
Digital In Arbeit

Russische Commedia dell’arte

19451960198020002020

HUNDEHERZ. Von Michail Bulfakow. Luchterhand-Verlag. 158 Seiten. DM 15.—.

19451960198020002020

HUNDEHERZ. Von Michail Bulfakow. Luchterhand-Verlag. 158 Seiten. DM 15.—.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Veröffentlichung von Bulga- kows Roman „Der Meister und Margarita“ brachte ein interessantes Stück russischer Literatur in den Westen, das um so mehr verblüffte, als es mitten aus der Wirklichkeit der stalinistischen Ära stammend nicht nur die wenn auch verschlüsselte Konfrontation mit dem Religiösen nicht scheute, sondern auch in der Verwendung mystischer Visionen, vitaler Phantasmagorien ein Bekenntnis zur Vielschichtigkeit des Wirklichen darstellt, das derVorder- gründigkeit des marxistischen Menschenbildes hohnsprechen mußte.

Auch die Erzählung „Hundeherz“ ist eine Bhantasmagorie mit stark satirisch-komödiantischen Effekten, von der sprudelnden Lebendigkeit und wirbelndem Theatralik einer echten Commedia deH’arte, jedoch überzogen vom Rauhreif eines Zynismus, dessen Eleganz und funkelnder Einfallsreichtum Bulgakow in die Reihe der großen Satiriker einreiht.

Worum es geht: Um den Hund Moppel, der im winterlich weiten Moskau einem Wurstzipfel nacheilt und auf dem Operationstisch des Wissenschafts- und fortschnittsgläubigen Professors Filip Filippowitsch landet, der an ihm die Möglichkeit der Verjüngung des Organismus mit Hilfe eines chirurgischen Eingriffs erprobt, zu seinem eigenen Entsetzen aber nicht die Verjüngung des Hundes, sondern dessen Vermenschlichung bewirkt, was ihn nahe an den Ruin bringt, da Poligraf Poligrafowitsch Moppel, wie er sich später nennt, seinen Schöpfer in hündischer Weise ausnützt, ja seine hündische Existenz mit menschlichen Möglichkeiten potenziert, so daß der Professor ihn wieder in einen Hund verwandelt.

Wie die großen russischen Erzähler schöpft Bulgakow seine Gestalten aus der Fülle des Lebens, taucht sie in die scharfe Lauge seines satirischen Humors, von der mit 60 falschen Brillanten geschmückten Köchin bis zur „Leuchte der Wissenschaft“ Filipowitsch, dem Magier in Filzpantoffeln, der in der Nacht gelbe Gehirne aus grünen Essenzen entnimmt, während er „Zu den Ufern des Nil“ summt. Er ist der Verteidiger bourgeoisen Lebensstils, dem er als der Inhaber einer 7-Zimmer- Wohnung und mehrer Treppenläufer, die Marx bekanntlich nicht verboten hat, frönt, und immer erfolgreich in der Behandlung des Komimiunisten Schwonder. Ihm ist das Professors Wissenschaft ebenso unheimlich wie dessen Bedürfnis, in mehreren Zimmern zu leben, deren Einziehung der Professor ständig zu verhindern weiß, auch als sich Schwonder mit Herrn Moppel verbündet, der nach der Lektüre des Briefwechsels Lenins mit Kautsky zur Moppel- schen Grundwahrheit kommt, daß alles geteilt werden muß, auch der Schnaps.

Wer, diese Prosasatire liest, wird, wie dies auch bei anderen Werken der östlichen Literatur der Fall ist, vor allem das lesen müssen, was nicht geschrieben steht oder zwischen den Zeilen, wird auch das satirische Element als eine Möglichkeit der Verschlüsselung begreifen und hinter den komödiantischen Maskeraden die traurige Wirklichkeit entdecken.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung