Schurke oder Revolutionär

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János Székelys Roman "Verlockung" wird international wieder entdeckt: eine Sozialstudie aus dem Budapest der Zwischenkriegszeit.

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral ... Zum selben Schluss wie Bert Brecht kommt auch János Székely, nur nicht in Bezug auf die Berliner, sondern auf die Budapester Zwischenkriegszeit. Angesichts von Millionen von Arbeitslosen, und noch viel mehr Leuten, die zwar Arbeit haben, aber davon auch nicht leben können, steht sein Romanheld in "Verlockung" vor der Alternative: Entweder man wird Schurke oder man wird Revolutionär. Ungefährlich ist beides nicht, wer erwischt wird, landet im Gefängnis.

Ohne Heimat

Vor politischer Verfolgung flüchtete auch der Autor zeitlebens immer wieder. 1901 in Budapest geboren, floh János Székely vor dem Horthy-Regime zunächst über Wien nach Berlin, wo er zum erfolgreichen Drehbuchautor für Stummfilmstars wie Brigitte Helm, Willy Fritsch oder Marlene Dietrich avancierte. Ernst Lubitsch lud ihn daraufhin 1934 zur Zusammenarbeit nach Hollywood ein. Aber auch die usa erwiesen sich im Laufe der Zeit nicht als das gelobte Land. In der McCarthy-Ära wieder Persona non grata, emigrierte Székely nach Mexiko und kehrte in den späten 50er Jahren nach Berlin zurück. Einen geplanten Besuch in Budapest vereitelte sein relativ früher Tod 1958. János Székely hat seine Heimat nie wiedergesehen.

Und er konnte auch seine Romantrilogie niemals vollenden. Möglicherweise hätte schon im zweiten Teil dem armen Alter Ego Béla das Schicksal weniger arg mitgespielt, aber überliefert ist uns nur "Verlockung", die gnadenlose Beschreibung seiner trostlosen Kindheit und Jugend. Das Buch wird derzeit international wieder entdeckt. Und das zu Recht. Sozialkritik und spannende Prosa geben sich hier ein Stelldichein wie bei Charles Dickens. Und auch der Humor bleibt nicht auf der Strecke.

"Mein Leben begann wie ein Kriminalschmöker: Man wollte mich ermorden." Sprich abtreiben. Aber das klappte nicht, und so hungert und schuftet der kleine Béla bei einer Kostschachtel, bis seine Mutter ihn schließlich notgedrungen nach Budapest holt. Vom Landelend ins Stadtelend. Er beobachtet die reiche Schickeria verstohlen von der Seite, als Liftboy in einem teuren Hotel, wo die kleinen Angestellten keinen Fillér verdienen und auf spärliche Trinkgelder angewiesen sind, träumt dabei weiter von Rózsa Sándor, dem berühmtesten ungarischen Landstreicher, einer Art Robin Hood, der den Reichen nahm und den Armen gab - und verliebt sich schlechten Gewissens und unglückselig ausgerechnet in einen Hotelgast:"Ihre Exzellenz".

Auch wenn Bélas Hotelboy-"Karriere" stellenweise ein wenig an Thomas Manns Felix Krull erinnern mag, János Székelys Romanwelt ist zu realistisch für einen augenzwinkernd glücklichen Aufstieg seines Helden. Die Familie hungert und hustet, der Hausmeister droht jeden Ersten mit der Kündigung.

János Székely zeichnet eine harte Sozialstudie von den Verlierern in einer kranken Gesellschaft, für die der Begriff Solidarität nur ganz langsam an Substanz gewinnt. Sozialismus als Traum von einer besseren Gesellschaft. Real sind Armut und Gewalt. Székely bietet uns kein Happy End, höchstens einen vagen Hoffnungsschimmer.

VERLOCKUNG

Roman von János Székely

Erstausgabe 1959. Übersetzung: Ita Szent-Iványi. SchirmerGraf Verlag, München 2005. 811 Seiten, geb., e 25,50

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