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Adolf Muschgs neuer Roman über das Scheitern scheitert selbst.

Der 42-jährige Komponist Roman Enders liegt im Sterben und richtet per Brief dem Cellisten Andreas Leuchter aus, er soll eine Suite spielen, die Roman in Erinnerung an die gemeinsame Internatszeit geschrieben hat. Diese Erinnerung ist freilich keine rosige: hat Enders doch seinerzeit Leuchter mit einem Tritt in die Hoden nicht nur in den Krankenstand, sondern auch in eine lebenslange Feindschaft zu ihm befördert. Dennoch wird sich Andreas wie nie zuvor Mühe geben, das Stück zu üben und auch zu spielen. Allerdings nicht den dritten Satz, der ist nicht spielbar. Oder, wie ein Musikphilosoph Leuchter im Anschluss an sein Konzert, belehrt: "Der Interpret hätte spielen müssen, um an seinem Spiel zu zerbrechen." Soweit die Ausgangslage in Adolf Muschgs neuem Roman "Eikan, du bist spät".

Abschied und Neuanfang

Leuchter liegt zu dieser Zeit gerne mit der japanischen Musikstudentin Sumi im Bett, von der er nicht einmal weiß, dass sie auch eine begnadete Cellistin ist. Nach dem Konzert verschwindet sie und ward nicht mehr gesehen. Leuchter vermisst sie, sucht sie aber nicht. Fünfzehn Jahre und viel Unglück später nimmt Leuchter in der Hoffnung, Sumi wieder zu sehen, die Einladung an, als Jurymitglied für einen Cellowettbewerb nach Japan zu kommen. Dort bleibt es nicht bei Besuchen von regenverhangenen Tempeln und bei bedeutungsschwangeren Dialogen auf dem Philosophenweg, auch die Mafia spielt plötzlich eine Rolle - kurz: die Handlung wird immer aufgeladener, immer konstruierter ...

Dabei würde die erfundene Person Leuchter durchaus Anlass zu einer wirklich interessanten Geschichte geben. "Leuchter war jetzt siebenundfünfzig. Wo es brannte, hätte seine Seele sein müssen." Muschgs Roman kreist um das Scheitern, das Ende des Lebens, das Sterben, um Abschiede. Sumi verweigert sich dem "gelungenen" Abschied, den Leuchter in seinen vielen Beziehungen mit Frauen eingeübt hat. Sie geht ohne. Damit aber muss er erst zurechtkommen, vor allem, wenn es ein Abschied in den Tod ist. Das Thema kennt der Leser schon aus Muschgs Roman "Sutters Glück". Es geht ums Anderswerden, spät aber doch - und dieses wird nicht nur durch die Namen Enders und Andreas mehr als angedeutet, sondern vor allem durch viel - zu viel - Symbolik und Musiktheorie.

Auch in diesem neuen Roman Muschgs finden sich gewohnt gekonnte Erzählpassagen. Manche wirken geradezu theologisch, wie etwa jene, in der beschrieben wird, wie sich Leuchter durch die Musik beim Namen gerufen fühlt und sich selbst erkennt. Auch Muschgs Literaturtheorie leuchtet ein: "Leuchter lauschte. Er war kein Künstler mehr. Doch zum erstenmal glaubte er zu begreifen, wofür Kunst gut war: vom Verlorenen so zu handeln, als wäre es immer noch die Möglichkeit; als käme es von vorne, eine Verheißung, wieder auf dich zu. Enders war tot, seine Kunst lebte, und es tat nichts mehr, wenn es sich bei Leuchter umgekehrt verhielt. Die Kunst war in seinem Ohr, und da war sie größer als er."

Allein, diese Sätze bleiben graue Theorie. Denn leider lassen die überkonstruierte Handlung, die erotischen Szenen und die theoretischen Exkurse dem Leser gerade nicht jene Möglichkeit, jene Musik in den Ohren klingen, die Leuchter hört und die ihn zur Erkenntnis führt. "Ich verstehe gar nichts. / Dann haben Sie es nicht mehr weit zur Erleuchtung." Dieser Dialog über Zen kann wohl kaum der Schlüssel für den Leser sein. Es bleibt der Eindruck, Muschg hätte hier ein Stück spielen wollen, das er durch dessen Konstruiertheit nicht spielen konnte - ohne dabei zu scheitern.

Eikan, du bist spät

Roman von Adolf Muschg

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005

315 Seiten, geb., e 18,40

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