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Ein Sammelband über Kabarett, Satire und Flüsterwitze.

Man muss kein Psychologe sein, um die kompensierende Ventilfunktion zu erkennen, die die jährlich wiederkehrenden Faschingsrituale für viele Menschen haben. Im Scheinwerferlicht der TV-Kameras mehr gequält als herzlich lachende Politiker müssen über sich ergehen lassen, was der berühmte kleine Mann ihnen immer schon einmal sagen wollte. Bedauerlicherweise behandelt der vorliegende Sammelband, der ein Symposium aus dem Jahr 2002 zu den inoffiziellen und kritischen politischen Textsorten dokumentiert, gerade diesen populären Stachel wider die Tagespolitik nicht. Das politische Kabarett, wo sich "ätzende Verspottung" und "konstruktive Sorge" paaren, kommt dem Geschilderten allerdings nahe. Die zwei weiteren behandelten Textsorten sind der Flüsterwitz als "anonymes-wirkungsvolles Verfahren kollektiver Psychohygiene" und der subversive Text in Gestalt politischer Lyrik und polemischer Literatur. Der Titel des Buches ist freilich irreführend, denn gegen den Zeitgeist sind die vorgelegten Beispiele eher selten gerichtet. Vielmehr geht es um Texte gegen die Politik, um Subversion in totalitären Regimen, wie um Kritik in demokratischen Systemen.

Die Beiträge spannen einen weiten Bogen. In einer grundsätzlichen Verortung von Witz und Ironie im Kontext der Politik beruhigt Richard Schrodt die um die parlamentarischen Sitten Besorgten: Das gemeinsame Lachen markiert einen Grundkonsens der Kommunikationswilligkeit. Die Geschichte des politischen Kabaretts ist eine lange, und Oswald Panagl zeigt die Parallelen zur Satire der Antike auf. Die Eigenart des österreichischen Kabaretts bemisst Dieter A. Binder an der Tradition der Scheltredenliteratur von Abraham a Santa Clara bis zu Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek. Die Mühen Maria Theresias und Joseph II. mit der politischen "Comoedie", vor allem den Extempore-Possen, zeichnet Beatrix Müller-Kampel nach. Die Possenreißer des 18. Jahrhunderts richteten ihren Spott noch am ehesten gegen den damaligen tugendhaften Zeitgeist, gegen Vernünftigkeit, Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit. Die österreichische Tradition setzt das sozialdemokratische (Christian Müller) und jüdische Kabarett der Zwischenkriegszeit (Christoph Wagner-Trenkwitz) fort. In diese Zeit fällt auch Karl Kraus, dessen schwierige Einordnung zwischen Ständestaat und Nationalsozialismus Wendelin Schmidt-Dengler sorgfältig auslotet.

Das Kabarett nach dem 2. Weltkrieg beschreiben Arnold Klaffenböck am Beispiel Helmut Qualtingers und Karl Müller an jenem Josef Haders. Die subversive Kraft des Flüsterwitzes in totalitären Regimen, der gegenüber dem Sakralen und Mächtigen "die menschlichen Proportionen wiederherstellt", beschäftigt Ernst Hanisch. Alois Woldan informiert über die polnische Literatur nach 1989, Cornelius Hell begründet das weitgehende Fehlen politischer Literatur im engeren Sinn in Litauen. Markus Pausch beschließt die Beiträge mit einem Auszug aus einem eigenen Kabarettprogramm zu den Nationalratswahlen von 2002.

Stachel wider den Zeitgeist

Kabarett, Flüsterwitze und Subversives

Hg. von Oswald Panagl und Robert Kriechbaumer. Böhlau Verlag. Wien 2004. 216 Seiten, brosch., Euro 30,70

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