6689982-1962_33_10.jpg
Digital In Arbeit

UBER OBLOMOW

Werbung
Werbung
Werbung

Sehr geehrte Redaktion!

In diesem Sommer vor 150 Jahren wurde in dem kleinen Wolgastädtchen Simbirsk Iwan Alexandrowitsch Gontscharow geboren. Ich sollte und wollte für den „russischen Flaubert“ einen Gedenkaufsatz schreiben, für diesen großen, unparteiischen Erzähler, „bei dem nichts zu finden ist außer Talent“.

Dazu mußte ich den Roman wieder lesen, der den Dichter weltberühmt gemacht hat: „Oblomow.“

Ich las, las. berauschte mich an einer Poesie des Nichtstuns, und es überkam mich bald das Gefühl heitren Friedens, das auch Oblomow eignet, und ich genoß seine Zufriedenheit darüber, „daß er keine' Meldungen zu erstatten, keine Schriftstücke aufzusetzen brauchte, sondern seinen Empfindungen, seinr: Phänf Me fÄi nachgehen dwfte.

Kann mannseiner solchen Stimmung der Passivität und de Träumens einen Aufsatz schreiben? Verstößt man nicht gegen die Lebensauffassung des Helden (respektive Anti-Helden, denn der tatenlose, dem Schlaf ergebene Oblomow hat so gar nichts Heldisches an sich), wenn man tätig ist? „In der Nacht — schreiben!“ meditiert er einmal, „und wann dann schlafen...? Immer nur schreiben, sein Denken und Fühlen für Kleinigkeiten hergeben, die Überzeugungen wechseln, mit Verstand und Einbildungskraft Handel treiben, seine Natur vergewaltigen, sich aufregen, glühen, lodern, keine Ruhe kennen und immerzu nach irgend etwas streben. . .“. Was Wunder, daß bei ihm die Tinte eingetrocknet ist!

Oblomow war es also auch, der einen Geburtstagsaufsatz für Gontscharow verhinderte - sein geistiger Vater wird dies verstehen und verzeihen, denn er schrieb ja schließlich „nur das nieder, was ich erlebt, gedacht, gefühlt, geliebt, vor mir gesehen und gekannt habe - mit einem Wort, ich beschrieb mein eigenes Leben und was in ihm wurzelte.“ Und doch habe ich laiige Pläne geschmiedet für diesen Artikel, wollte den geliebten Oblomow wieder mehr in das Bewußtsein der Gegenwart rücken.

Ich wollte schreiben, daß Oblomow eine Medizin ist für unsere geschäftige Welt, eine Essenz gegen die Managerkrankheit, ein Schild gegen Werbesprüche etwa in der Art: „Tempo, Leben, Aktivität das ist Deutschland!“ (Annes Deutschland). Ich wollte Schlegel als Kronzeugen für Oblomow ins Gespräch bringen, der vom Müßiggang als „Lebensluft der Unschuld und Begeisterung spricht und in ihm das „einzige Fragment von Gottähnlichkeit“ sieht, „das uns noch aus dem Paradiese blieb“, und ich wollte damit sagen, daß man Oblomow nicht in ein Koordinatensystem voji Arbeitzeitveküizntg .und, Freizei, gestaltüngf bringen kann (dazu sind'-beide m 'phantasielos).

loh : wollte eine 'F(Srmu1iefüng',tvci fetli iASthaus ausschlachten, die besagt, daß gelassene Heiterkeit und Beschaulichkeit zwei Milchschwestern der Faulheit sind.

Ich wollte auf eine bei uns wenig bekannte Lenin-Rede hinweisen, gehalten in der Sitzung der kommunistischen Fraktion des Allrussischen Verbandstags der Metallarbeiter am 6. März 1922, in der es heißt: „Wir befinden uns in der Lage von Leuten (und man muß sagen, daß dies eine sehr alberne Lage ist), die immerzu Sitzungen abhalten, Kommissionen bilden, Pläne aufstellen — bis ins Unendliche. Es hat einen solchen Typus des russischen Lebens gegeben — Oblomow. Er pflegte immerzu auf dem Bett zu liegen und Pläne zu schmieden. Seitdem ist viel Zeit vergangen. Rußland hat drei Revolutionen durchgemacht, aber die ,Oblomows' sind immer noch da ... „Es genügt, uns einmal anzusehen, wie wir Sitzungen abhalten, wie wir in den Kommissionen arbeiten, um zu sagen: der alte Oblomow ist noch da, und man muß :hn lange waschen, säubern, klopfen und walken, dlamit etwas Vernünftiges herauskommt.“

Ich wollte dem „Vernünftigen“ das „Symbol der Seele“ gegenüberstellen, wollte in Stachanow und Oblomow ein russisches Brüderpaar kreieren und wollte für Oblomow die symphatische Erscheinungsart des russischen Menschen, die heute wegen ihres heroischen und energiegeladenen Bruders beziehungsweise Genossen gar nicht mehr zum Zuge kommt, eine Lanze brechen.

Ich wollte schreiben, daß man Oblomow nicht nur im Hinblick auf die Gesellschaft interpretieren soll und seine Heimat nicht nur in Rußland suchen muß, sondern im uns selbst. „Zwei Seelen wohnen“ — Sie wissen schon.

Ich wollte auch auf die beiden anderen großen Romane Gontscharows aufmerksam machen, auf „Eine alltägliche Geschichte“ und auf „Die Schlucht“, die wie der „Oblomow“ das russische Leben spiegeln und mit ihm eine Einheit bilden — ich glaube, sie waren im deutschen Sprachraum noch nie so ideal vereint wie in der jetzt vorliegenden zweibändigen Manesse-Ausgabe.

Ich wollte ... Ich wollte...

Aber der „Zauber des Zauderns verließ mich nicht. Daß ich diesen Brief schreibe, ist vielleicht verzeihlich, denn auch Oblomow hat sich gelegentlich zu einem Brief durchgerungen.

Ich habe in Oblomow einen Menschen entdeckt. Die Literaturhistoriker in Leipzig beziehungsweise Ostberlin verbinden mit seinem Namen eine Krankheit. Und sie geben Vollzugsmeldung: „Die Partei Lenins hat dank einer illusionslosen, tatentschlossenen Führung diese Krankheit überwunden.“ Sie loben aber eine andere Gestalt des Buches, den nicht unsympathischen Erfolgsmenschen Stolz, diesen „Deutschrussen voller Tatkraft“. Doch wenn sie Stolz bejahen und konsequent, tolerant und souverän sein wollen, müßten sie, selbst wenn dies schlecht ins Weltbild paßt, auch den Stolz-Freund Oblomow akzeptieren, von dem Stolz einmal sagt: „Ich habe viele Menschen mit bedeutenden Eigenschaften gekannt, aber niemals ist mir ein reineres, lichteres und schlichteres Herz begegnet. Ich habe viele geliebt, niemanden aber so fest und innig wie Oblomow. Hat man ihn einmal kennengelernt, so wird man nie aufhören ihn zu lieben.“

Ist der letzte Satz von Stolz, den ich unterschreibe, hinreichende Entschuldigung für den nicht geschriebenen Aufsatz? Ich hoffe es.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr ergebener Andreas Amhag

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung