Überlegt und ungerecht

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Ilija Trojanow reiste auf den Spuren von Richard Francis Burton durch vier Kontinente.

Er war "wie ein Orchester ohne Dirigent", schreibt Ilija Trojanow über Richard Francis Burton: "ein Reisender, ein Abenteurer, ein Soldat, ein Diplomat, ein Anthropologe, ein Geograph, ein Geheimagent, ein Geschichtenerzähler, ein Übersetzer, ein Hobbydichter, ein Laienwissenschaftler, ein Archäologe, ein Goldsucher, ein Meisterfechter, ein Agnostiker, ein Satiriker, ein Häretiker, ein Provokateur, ein Aufklärer." Sich einem so widersprüchlichen, oszillierenden Charakter anzunähern, sich ihm vielleicht sogar ein wenig anzuverwandeln, geht nur über vergleichbaren Facettenreichtum.

Eine Obsession

Ilija Trojanow hat genau diesen mäandernden Pfad beschritten, und man kann gewiss behaupten, dass der bulgarisch-deutsche, in Kenia aufgewachsene, in Indien, Südafrika und Deutschland lebende Schriftsteller, Jahrgang 1965, ein gutes Jahrzehnt seines Lebens hindurch an einer hartnäckigen Richard-Francis-Burton-Obsession laboriert hat. Eine fruchtbare Obsession, der neben Trojanows Erfolgsroman "Der Weltensammler" (2006) auch sein Buch "Nomade auf vier Kontinenten" entsprungen ist. War das eine eine vielschichtige Annäherung an Burton mit den Mitteln des Romans, so ist das andere eine Collage, ein Mosaik, zusammengesetzt aus unzähligen Teilchen, die sich zu einem hin- und herflimmernden Hologramm fügen, in dem je nach Neigungswinkel einmal das Gesicht Burtons und einmal das Trojanows auftaucht, einmal das 19. Jahrhundert, in dem jener reiste, einmal das ausgehende 20. Jahrhundert, in dem Trojanow sich an Burtons Fersen heftete.

So hemmungslos fließen beider Texte ineinander, dass es aus buchgestalterischer Sicht zweier Druckfarben bedurfte, um die Passagen, die aus Burtons Werken stammen, von jenen zu unterscheiden, in denen Trojanow von seiner Hadsch nach Mekka erzählt, seinem Besuch einer Mormonengemeinde in Utah, von seiner Fußreise durch Tansania bis zum Taganjikasee, wo Burton die Quellen des Nils suchte, seiner Reise nach Goa und in die indische "Hill Station" Shimla, wo er einem Antiquar im Tausch gegen weitere Burton- Informationen um 10.000 Dollar eine Erstausgabe der berühmten Burton-Übersetzung von "1001 Nacht" abkaufte.

Ein Sufi-Lehrer in Bombay rät Trojanow: "Befreien Sie sich von den eisernen Ketten der Kausalität, sie reizen die Haut und verderben das Denken." Es gehört eine gute Portion freier Geist und Kühnheit zu einem Buch wie diesem, in dem Trojanow sein Eigenes so selbstbewusst der erdrückend einschüchternden Vielfalt von Burtons legendärem Leben und Schreiben gegenüberstellt - und sich dabei weder lächerlich macht noch anbiedert noch das Seine auf Burtons breite Unterlage künstlich aufpfropft. Im Gegenteil: Was herauskommt, besitzt einen erhellenden Mehrwert, ist weniger Vergleich als wechselseitiges Ergänzen über einen Jahrhundertsprung hinweg, ist keine Biografie Burtons und doch eine gelungene Umzingelung seiner Person und dabei auch eine Kollektion von Trojanows schönen und sehr eigenständigen Reisefeuilletons. Trojanow will, wie er an einer Stelle schreibt, Burton "kommentieren, überlegt und ungerecht, wie er es sich ein Leben lang bei anderen Autoren erlaubte" - nicht selten passiert das in Fußnoten, die umgekehrt auch Burton in seinen Werken häufig für Kommentare nutzte.

Bibliophiler Augenschmaus

"Nomade auf vier Kontinenten" ist auch ein bibliophiler Augenschmaus; mit Ausnahme dessen, dass Burtons hier erstmals auf Deutsch erscheinende Übersetzung des langen Gedichts "The Kasidah" von Haji Abdu El-Yezdi - eines vorgeblichen persischen Sufismus-Lehrstücks, dessen Autorenschaft Burton selbst zugeschrieben wird - aufgrund von Papierfarbe (dunkelgrün), Schriftgröße und -typ leider auch bei bestem Willen so gut wie unleserlich bleibt. Vor allem aber ist dieses Buch das lebenspralle Dokument zweier Menschen, deren Streben von hemmungslosen Welt-Einverleibungssehnsüchten bestimmt ist.

Nomade auf vier Kontinenten Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton. Von Ilija Trojanow. Andere Bibliothek im Eichborn Verlag, Frankfurt 2007. 444 Seiten, geb., € 25,70

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