"Ungemein starke Indizien"

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Bernd Schroeders Roman "Hau" greift einen historischen Justizskandal auf.

Der spektakuläre Mordprozess Carl Hau polarisierte im Jahr 1907 die deutsche Öffentlichkeit: Die einen sahen in Carl Hau einen Mörder aus Geldgier, die anderen ein unschuldiges Opfer einer Justizfarce - und Karl Kraus sah naturgemäß die Presse "monatelang an einer Kolportagesensation würgen" ...

Der bis heute rätselhafte Mordfall wurde mehrfach literarisch und filmisch aufgegriffen, zu allererst von Carl Hau selbst, der nach Verbüßung einer 17-jährigen Haftstrafe zwei Bücher schrieb, kurz bevor er, wiederum auf der Flucht, da er durch diese Veröffentlichungen gegen schikanöse Bewährungsauflagen verstoßen hatte, vermutlich Selbstmord beging. Von den vielfältigen Nachwirkungen wären auch noch Jakob Wassermanns Bestseller Der Fall Maurizius (1928) sowie die Verfilmung Mordprozess Dr. Jordan (1948) zu nennen.

Schuldig oder unschuldig?

An eine Verfilmung dachte ursprünglich auch Bernd Schroeder, wie er in der Widmung seines - auch als Hörbuch erschienenen - Romans an Peter Beauvais bekennt. Schroeder präsentiert sein zu einem überwiegenden Teil dokumentarisches Material durchaus nicht ungeschickt auf drei verschiedenen Zeitebenen, die wiederum nicht chronologisch ineinander verwoben sind. Es wird dem Leser bald klar, dass in diesem vielstimmigen Puzzle die Frage "schuldig oder unschuldig" unbeantwortet bleiben wird. Der Autor bezieht auch nicht Partei, sondern lässt die wenig einnehmende Figur des Carl Hau in ihrer Ambivalenz stehen.

Der junge Rechtsanwalt soll aus selbstverschuldeter Geldnot seine wohlhabende Schwiegermutter, die verwitwete Frau Geheimrat Josefine Molitor, erschossen haben. Beweise gibt es keine, doch weisen "ungemein starke Indizien auf seine Schuld. Geldmangel, Prahlsucht, Hang zur Lüge und zu üppigem Leben; heimliche Reise, falsche Depesche, falscher Bart, falscher Telefonanruf; er ist an der Stätte und in der Stunde des Mordes gesehen worden, war vermummt ..." - soweit Maximilian Harden in seiner Zeitschrift Die Zukunft (was Karl Kraus unter anderem zum höchst lesenswerten Pamphlet "Maximilian Harden. Eine Erledigung" motiviert hat).

Diese so genannten Indizien sind vielleicht erdrückend und das hartnäckige Schweigen des Angeklagten wenig hilfreich. Die ebenso reißerische wie unappetitliche Berichterstattung, die mediale Vorverurteilung aufgrund "sittlicher" Verfehlungen und die haarsträubenden Verfahrensmängel sind jedoch nicht minder skandalös und entwerfen ein entlarvendes Bild der im Wilhelminischen Deutschland (und nicht nur dort) waltenden heuchlerische Doppelmoral und Philisterhaftigkeit.

Wer mit Prostituierten Umgang pflegt, dem sei wohl auch ein Mord zuzutrauen, und das in Spiritus eingelegte Herz des Mordopfers wiegt als bizarres Beweisstück - "In dem gefurchten, ausgespülten Beutelchen regt sich nichts mehr ..." (Harden) - schwerer als die Anhörung von Entlastungszeugen: Carl Hau wird in Karlsruhe zum Tod verurteilt, was zu tumultartigen Aufständen seiner Anhänger führt, die einen Justizmord wähnen; später wird das Urteil in lebenslange Haft abgemildert. Mit der Weimarer Republik kommt schließlich nicht nur die "Abschaffung von Kappe und Gesichtsmaske" sondern auch das Ende von "Lebenslänglich".

Wenig berührend

Ein Problem des Textes besteht darin, dass der Fall Hau zwar als historischer Justizskandal von Interesse ist, hier vor allem aber dessen zeitgenössische Rezeption. Die undurchsichtige Hauptfigur lädt jedoch kaum zur Anteilnahme ein, wozu sicher auch das dem historischen Archivmaterial eigene steife Brief-und Bürokratendeutsch beiträgt. Es kann also leicht geschehen, dass den Leser nach halber Strecke das Schicksal Carl Haus ebenso wenig berührt wie die Frage, wer an jenem Novemberabend des Jahres 1906 nun wirklich geschossen hat.

HAU

Roman von Bernd Schroeder

Hanser Verlag, München 2006

366 Seiten, geb., € 22,10

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