Viel Feuer, viel Leid, aber kein roter Faden

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Im "Zirkusbrand" von Stewart O'Nan wird Lokalgeschichte zum Weltereignis.

Einen Monat nach der Landung der Alliierten in der Normandie sterben im Juli 1944 in Hartford in den USA 167 Amerikaner beim größten Zirkusbrand in der Geschichte des Landes. Ein Ereignis, über das der erfolgreiche Schriftsteller Stewart O'Nan, der bereits mit dem William-Faulkner-Preis ausgezeichnet wurde, ein Buch mit 500 Seiten schrieb. Ein Buch, das nicht in einem lokalen Kleinverlag erschien, sondern bereits nach nicht viel mehr als zweieinhalb Jahren übersetzt vorliegt.

Wir leben in einer sonderbaren Welt. Die Globalisierung lässt selbst die Lokalgeschichte zu einem Weltereignis werden. Natürlich muss das entsprechende Ereignis gewisse Voraussetzungen erfüllen, der größte Brand, dazu noch ein Zirkus, Kinder und Löwen und ein Trauma bei den Überlebenden, eine ungeklärte Ursache, ein nicht überführter Brandstifter, der - ohne dass ihm der Prozess gemacht wird - stirbt: so sieht das Bündel der Beweggründe aus, die Lokalgeschichte zu universaler Aufmerksamkeit verhelfen. Gerade weil so vieles undurchschaubar in der globalisierten Welt wird, wird die Sehnsucht größer nach Katastrophen, die überschaubar sind - Flutkatastrophen mit Tausenden Toten sind das nicht. Einen Zirkus hat jeder schon einmal besucht, die Mischung von Sägespänen, Schweiß und dem Geruch von Tieren ist jedem sofort abrufbar. Zum Jahrestag des Brandes findet das Ereignis auch Jahre und Jahrzehnte noch Beachtung in den amerikanischen Medien. So wurde auch der Autor Stewart 0'Nan aufmerksam und begann nachzuforschen. Das Feuers fraß sich am 6. Juli mit akrobatischer Geschwindigkeit die Zeltplanen bis zur Spitze hinauf und fand in Benzin und einem wasserabweisenden Mittel genügend Nahrung. Mehr als 9.000 Besucher saßen im Zelt. Der Autor recherchiert die Geschichten der Besucher, verfolgt die Recherchen der Polizei und wird dabei unterstützt durch eine Bebilderung des Bandes.

O'Nan erfindet kleine und große Helden, Menschen, die in der Panik nur an sich denken, Zirkusleute, für die die Show nicht endet.

Viel Feuer, viel Leid, aber kein roter Faden. Und eine Erklärung, warum dieses Buch gelesen werden sollte, ist wohl schwer zu geben (ausgenommen sind natürlich Zirkusfreunde, die einen Einblick in das soziale Leben dieser fahrenden Künstlergemeinde bekommen). Die einzige Antwort auf die Frage, warum dieses Buch auch für andere Leser interessant sein könnte, finde ich nur darin: Wenn die Realität als so schrecklich eingestuft wird, ermöglicht vielleicht nur ein Detailblick Vergessen oder Ertragen, bietet also eine Alternative für jene, die ihre Flucht aus dem Alltag nicht mit einem Ticket Richtung Kitsch oder verlogene Idyllen antreten wollen, aber sich nach einer Katastrophe sehnen.

Der Zirkusbrand

Eine wahre Geschichte von Stewart 0'Nan

Deutsch von Thomas Gunkel

Rowohlt Verlag, Hamburg 2003

509 Seiten, geb., e 25,60

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