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Viel Trost im Test

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Der Test ist die Psychoanalyse des kleinen Mannes. Unsere inneren Abgründe, die bekanntlich der Sigmund Freud aufge-stierlt hat, lechzen nach dem Lot des Tests. Es geht ja da nicht nur um den Alkoholgehalt der Atemluft im Röhrl. Angeblich blasen da manche sogar mit Genuß hinein, einerseits um sich die Anerkennung als nüchternes Unschuldslamm zu verdienen, andererseits aber auch, weil es sie interessiert, ob ihnen so ein mechanisch-chemisches Gerät auf die Schliche ihrer Zeche kommt. Die Realität ist, daß sogar ein verweigerter Test ein Test ist. Denn wer den Test flieht, hat ihn nicht bestanden.

Auch wenn die Folgen übel sind -vom entzogenen Führerschein, dem nicht erreichten Klassenziel bis zum vergeblich erstrebten Posten: der Test übt stets einen gewissen, fast unwiderstehlichen Reiz aus. Irgendwie sind wir eben neugierig. Gier steckt in dem Wort - und Gier ist nicht bloß eine sanfte Neigung. Wie geht denn das, wenn da einer aus einem Stück verbogenem Draht erkennen kann, ob einer lieber Musiker, Tischler oder Kanalräumer werden soll? Wie macht man das, um aus ein paar-Tintenklecksen zu erraten, ob einer eher zum Kassier oder zum Bankräuber taugt? Und wie weiß einer die heimlichsten Sehnsüchte, der bloß die Zusammenstellung von ein paar farbigen Tafeln oder Würfeln betrachtet? Solche Tests - bitte Respekt! - sind nicht etwa mit der Deutung silvesterlicher Bleiguß-produkte oder dem Horoskop vom Boulevard zu vergleichen, sondern gehören zur ernstlichen Wissenschaft. Sie besitzen zudem auch ihren Wert in der Hilfe, die sie dem Tester und manchmal auch dem Getesteten bieten. Wer wäre nicht gerne Lokomotivführer geworden, bis ihm der Tester nach allerlei Fangfragen erklärte, es doch lieber als Elektriker zu versuchen! Wer hätte nicht gerne an der Wallstreet Millionen erspekuliert, wenn ihm der Tester nicht gesagt hätte, daß er besser sein Geld am Bausparvertrag angelegt hätte!

Ubergehen wir hier kurz und kühn das weite Praxisfeld aller Tests, bei denen sich Streifen verfärben und Skalen drehen, bei denen hinterm Testglas der Blick sich verschärft oder die Lesetafel verschwimmt. Alles, was einst Probe oder Prüfung war, ist längst zum Test geworden, standardisiert, funktionalisiert, flink, unbestechlich, wissenschaftlich. Erst der Test macht den gläsernen Menschen.

Gemeint sind die Test-Fragebogen, mit deren Hilfe sich Punktezahlen errechnen lassen, die der gesteigerten Selbsterkenntnis dienen sollen. Stehen Sie morgens auf: mit dem linken Fuß (3), mit dem rechten Fuß (5) oder mit beiden Beinen gleichzeitig (2)? Rasieren Sie zuerst die linke (2), die rechte (4) Backe, oder zuerst das Kinn (6)? Ergreifen Sie Ihr Kaffeehäferl rnit der linken (7), mit der rechten (3) Hand, oder mit beiden Händen (2)? Antworten Sie auf die Frage „Wie geht es Ihnen?" mit „Danke, gut!" (10), „Bestens!" (25) oder mit einem unverständlichen Gemurmel (0)?

Und nun frisch getestet! Hurra, ich bin ein Optimist und Draufgänger, ein flotter, geistreicher Partylöwe, ein Erfolgstyp, ein strahlender Sieger. Wer nicht testet, der rostet. Irgendwelche unangenehmen Mitmenschen schlage ich testend aus dem Rennen. Das sind die Pessimisten, Langweiler und Mißerfolgreichen.

Klar! Wissenschaftlich.

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