Wärme des Authentischen

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Ein Dorf an der tschechisch-slowakischen Grenze bildet den Hintergrund für jene Novelle von KveÇta Legátová, deren Verfilmung dieses Jahr für den Oskar für den besten ausländischen Film nominiert war.

Über ein Buch, das man zu lesen beginnt und damit nicht mehr aufhört, bis die letzte Seite erreicht ist, und man gar nicht bemerkt hat, dass es darüber schon weit nach Mitternacht geworden ist, möchte man im ersten Moment gar nicht viel mehr sagen, als dass es schön war, und es dem nächsten Freund auffordernd in die Hand drücken: "Lies!"

Zuerst der Film

Es ist schade, dass KveÇta Legátovás "Der Mann aus ÇZelary" erst erscheint, nachdem die sehr freie Verfilmung des Stoffes bereits in den Kinos zu sehen ist. Wer es nicht mag, wenn von anderen inszenierte Bilder die selbst phantasierten dominieren, sollte mit dem Anschauen warten. Es würde ihm das Vergnügen entgehen, ganz ungestört am unerschrockenen Blick der Ich-Erzählerin ElisÇka auf die Welt teilzuhaben. Sie ist eine genaue Beobachterin - Menschen, Orte, Tiere, klarsichtig und analytisch beschreibt sie Physis und Psyche der Welt um sich und in sich. ElisÇka ist Ärztin im Brünner Krankenhaus. Die Gestapo entdeckt das Widerstandsnetzwerk, dem sie angehört. ElisÇka muss fliehen und eine andere Identität annehmen. Mit ihrem ehemaligen Patienten Joza, Arbeiter in einem Sägewerk, fährt sie in dessen Dorf ÇZelary an der tschechisch-slowakischen Grenze. Die zwei einander völlig fremden Menschen heiraten, aus der Brünner Ärztin wird Jozas Hanule. Was sich nun in dem wilden Bergdorf zwischen den beiden entspinnt, ist weniger eine Liebes- als eine Zärtlichkeitsgeschichte. Ihr Zauber entwickelt sich nicht aus sprachlicher Meisterschaft. Im Gegenteil stolpert man immer wieder über manch schiefe Metapher, wenn etwa Schritte sich "wie eine Lokomotive" über das Hirn der Erzählerin "wälzen". In seiner Unmittelbarkeit erinnert der Text an lebensgeschichtliche Aufzeichnungen. Und diese Wärme des Authentischen, das Durchschimmern persönlicher Erfahrung wirkt in Legátovás Fall sehr anziehend. Ihre größte Stärke aber liegt in der Dialogführung und der szenischen Gestaltung, eingenommen vom dramatischen Spannungsaufbau beginnt man schon nach wenigen Seiten sprachlich schwache Stellen zu überlesen.

Pseudonym

Wer ist diese Autorin, die 2002 mit dem tschechischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet wurde und deren Bücher in ihrem Land zu den bestverkauften der letzten Jahre zählen? Ihr Name ist eigentlich VeÇra Hofmanová, und als die Erzählsammlung "ÇZelary" 2001 erschien, feierte die Brünner Autorin bereits ihren 82. Geburtstag. Ihr Leben unter dem kommunistischem Regime war nicht einfach gewesen, sie galt als politisch unzuverlässig und wurde als Lehrerin in verschiedene Dorfschulen versetzt. Das reale Vorbild ÇZelarys ist Stary´ Hrozenkov, wo Hofmanová lange lebte und arbeitete. Weil das Leben mehr ist als eines? Hofmanová, die viele Jahre nur für sich schrieb und bis zum überraschenden Erfolg von "ÇZelary" völlig unbekannt war, publizierte auch schon früher, in politischen Tauwetterperioden, unter Pseudonym. Flucht in einen anderen Namen, in eine neue Identität, den Bruch im Leben als Chance begreifen lernen, sich finden im Fremden, von all dem handelt nun ihre Erzählung. Moderne Themen, verhandelt in einem archaischen Umfeld. Und ein Erfolg, der wie ein kleines Wunder anmutet.

Der Mann aus ÇZelary

Novelle von KveÇta Legátová

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004

160 Seiten, kart., e 12,40

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