6792165-1970_44_07.jpg
Digital In Arbeit

Wie die Mafia

Werbung
Werbung
Werbung

Bei Tag errichtete und während der Nacht von den Polizeikräften demolierte Barrikaden, mehr oder minder blutige Zusammenstöße zwischen Uniformierten und Demonstranten mit Dutzenden von Verletzten, örtliche Generalstreiks als Protestaktionen gegen die Präsenz tausender Carabinieri — dieser Kleinkrieg von Reggio-Calabria hält die Italiener seit Mltt Juli in Atem. Kein Tag vergeht, an dem die Auseinandersetzung nicht gleichsam eine neue Dimension erhält. Zunächst schien es Reggio-Calabria nur um die Ehre zu gehen, Hauptstadt der am 7. Juni durch Regionalwahlen gebildeten neuen Region Kalabrien zu sein. Als Vorwand hat dieser Anspruch bis zum heutigen Tage wenigstens für die unteren Schichten Zündkraft behalten. Im Hintergrund aber wirken als eigentliche Antriebskräfte andere Faktoren. Die Verlegung der Regionalämter von Canzaro nach Reggio würde für die „Reggiani“ eine zusätzliche Einnahmsquelle erster Ordnung bedeuten. Regionalräte und Assessoren beziehen gute Gehälter. Die meisten von ihnen würden ihren Wohnsitz nach Reggio verlegen. Über das Schicksal Kalabriens würde künftig in Reggjp bestimmt, so daß viel Geld, das von Rom und Mailand aus über die „Cassa per il Mezzogiorno“ und andere Stiftungen nach Süditalien gepumpt wird, in dieser Stadt, hängenbleiben könnte. Italien bedarf dringend eines fünften Stahlproduktionszentrums. Die

Kapazitäten von Taranto in Appulien sind weitgehend ausgeschöpft. Die Verzögerung der Errichtung eines solchen Zentrums kostet Italien jährlich hunderte Milliarden Lire, indem es übermäßig viel Stahl einführen muß, was die ohnehin nicht mehr im Gleichgewicht befindliehe Zahlungsbilanz noch zusätzlich belastet.

Während viele „Reggiani“ ihrer Stadt nichts besseres wünschen als das Taramto des tiefen Südens zu werden und damit Zehntausenden heute Arbeitslosen eine Verdienstquelle zu bieten, sehen andere darin eine tödliche Gefahr für den Fremdenverkehr, von dem bis jetzt ein Großteil direkt oder indirekt lebte. Reggio kontrolliert den gesamten Automobil- und Eisenbahnverkehr nach Sizilien. Lange Wartezeiten auf die Fähren bringen Geld. Das alte Projekt einer Autobrücke über die Meerenge von Messina ist in Reggio immer wieder auf Widerstand gestoßen und von seinen Bewohnern bisher mit Erfolg boykottiert worden. Solange sie Sizilien praktisch im

Griff haben, nützen die „Reggiani“ ihre Schlüsselposition aus, um Rom gefügig zu machen.

Um sich nicht die Finger an diesem heißen Eisen zu verbrennen, möchte das Kabinett Colombo die Entscheidung der Frage, welche Stadt künftig Kapitale der Region Kalabrien sein soll, dem Parlament überlassen. Fällt das Ergebnis zur Unzufriedenheit der Kalabresen aus, so kann Colombo gleich Pilatus sich die Hände in Unschuld waschen und die

Legislative, in der auch die Kommunisten vertreten sind, zum Sündenbock stempeln.

Während sie den Bescheid des Parlaments abwarten und gutheißen .müßten, vertrauen die „Reggiani“ auf ihre wirtschaftliche Vormachtstellung in Kalabrien und auf die Schlüsselposition als „Tor nach Sizilien“. Nach alter Sitte der Mafia hofft man, von unten her das zu erreichen, was ein von oben eingesetztes Recht vorenthalten möchte. Im Vertrauen darauf, beim Kampf mit Rom und seiner schwachen Regierung den längeren Atem zu haben, riskiert man die vorübergehende Lahmlegung der Stadt und ist überzeugt, am Ende als Sieger aus dieser vielschichtigen Auseinandersetzung hervorzugehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung