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Sibylle Zehles neueste Biografie von Minna Wagner.

Die Schauspielerin Minna Planer (1809-1866), erste Ehefrau Richard Wagners, geriet nicht zuletzt durch die Propaganda Cosimas und deren redigierenden Eingriff in die Memoiren des Komponisten in schlechtes Licht, ja beinahe in Vergessenheit. Das Buch der ehemaligen "Zeit"-Redakteurin, freien Publizistin und Wagner-Kennerin Sibylle Zehle ist der zweite Versuch, dieses Bild zurechtzurücken. Ähnlich wie die Musiksoziologin Eva Rieger hat die Autorin mit Akribie zahlreiche Quellen ausgewertet, Selbstzeugnisse Wagners und Briefe der Eheleute aneinander, an Freunde und Bekannte, um daraus eine lebendige Darstellung einer "ganz normalen", jedoch von Anfang an zwiespältigen Ehe entstehen zu lassen. Erklärte Absicht der Autorin ist Parteinahme für Minna, die zu Beginn als junge aufstrebende Schauspielerin begegnet, die den noch unbekannten Komponisten gefangen nimmt: mit sehr anmutigem und frischem Äußeren, im Gesicht eine angenehm fesselnde Würde, wie er es später Cosima geschildert hat.

Im Gegensatz zu Riegers sachlich-dokumentarischem Stil liest sich Zehles Buch spannungsvoll wie ein Roman - und das nicht um den Preis biografischer Genauigkeit. Detailgetreu rekonstruiert die Autorin den gemeinsamen Weg der Wagners vom sommerlichen Bad Lauchstädt bei Halle nach Magdeburg, Königsberg, Riga und London. Weitere Stationen: Paris, Dresden und Zürich. Dank einer Fülle von Originalzitaten erlebt der Leser gleichsam hautnah mit, wie die wechselseitige Anziehungskraft schnell zu einer von gegenseitiger Abhängigkeit und Fluchtversuchen geprägten fragilen Beziehung wird. Und keineswegs war immer Richard der Flüchtende. Mehrmals versuchte auch Minna den Ausbruch, und kehrte jedesmal, wie er später noch oft, reumütig zu ihrem Richard zurück.

Mühelos, beinahe nebenbei erschließen sich dem Leser Hintergründe und Details der Rezeptionsgeschichte von Wagners Oeuvre aus neuem, privatem Blickwinkel, wie beispielsweise die spektakuläre Überfahrt nach London, verewigt im Holländer: "Der Wind wechselte auf Nord. Die See wurde rauh, und die ersten Brecher stürzten auf Deck. Im Heulen des Windes hörte man abgerissene Kommandorufe. Fier weg Bramraah ... Hol ein Klüver ... Minna und Richard wurde die jämmerlich enge Kajüte des Kapitäns zugewiesen, ohne eigentliches Lager für eines von uns beiden. Dort kauerten sie auf Bänken und kämpften gegen ihre Angst und ihre Übelkeit."

Minna begleitete Richard durch Höhen und Tiefen, wobei sich die Pariser Zeit als besonders symptomatisch für ihre Beziehung darstellt: Das armselige Bohème-Dasein 1839-42 erschien ihr retrospektiv als ihre glücklichste Zeit. Bereits traumatisch für beide dagegen das Wiedersehen 1861, im Jahr des Tannhäuser-Skandals.

Besonders gelungen an Zehles Darstellung, dass trotz ihrer unverhohlenen Sympathie für Minna auch Richards Seite verständlich wird, die von Anziehung, Abhängigkeit und Schuldgefühlen geprägte Bindung an seine Frau. Einfühlsam wird die Entstehung des Tristan geschildert, inspiriert von Mathilde Wesendonck, Anfang vom Ende einer sonst vielleicht doch noch glücklichen Ehe: "Die Nähe zu Mathilde verführte. Minna muß einsam gewesen sein. Sie sah den regen Austausch von Nachrichten, sie registrierte die Begegnungen, die wie zufälligen Berührungen, die tiefen Blicke, und sie wollte es nicht wahrhaben."

Indirekt ist das Buch auch eine sympathische, andere Wagner-Biografie geworden, abseits vom Bayreuther Meisterkult. Wagners wechselvolles Leben erscheint symptomatisch für ein Künstlerschicksal im 19. Jahrhundert, hin- und hergerissen zwischen Idealismus, Realität, Geniekult und menschlichen Bedürfnissen: ein Leben voll Opfer. Man möchte ihm am Ende zustimmen, wenn er 1861 an Minna schreibt: Die Zeit wird kommen, wo man, beim Ueberblicke eines Lebens wie des meinigen, mit später Scham einsehen wird, wie gedankenlos man mich fortgesetzt der Unruhe, der Unsicherheit preisgibt, und welch ein Wunder es ist, dass ich unter solchen Umständen solche Werke geschaffen habe.

Minna Wagner

Eine Spurensuche

Von Sibylle Zehle

Verlag Hoffmann & Campe Hamburg 2004

573 Seiten, geb., e 25,60

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