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Bezopftes Deutschland

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BRIEFE EINES REISENDEN FRANZOSEN UBER DEUTSCHLAND AN SEINEN BRUDER ZU PARIS. Von Johann Kaspar Riesbeck. Steingruben-Verlag, Stuttgart, 1967. Herausgegeben und bearbeitet von Wolfgang Gerlach nach der Originalausgabe 1783. 858 Seiten. DM 24.—.

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BRIEFE EINES REISENDEN FRANZOSEN UBER DEUTSCHLAND AN SEINEN BRUDER ZU PARIS. Von Johann Kaspar Riesbeck. Steingruben-Verlag, Stuttgart, 1967. Herausgegeben und bearbeitet von Wolfgang Gerlach nach der Originalausgabe 1783. 858 Seiten. DM 24.—.

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Diesen Reisebericht liest man am besten wieder auf der Reise. Es ist die ideale Reiselektüre, verständlich, vergnüglich, elegant und mit Maß belehrend. Der Herausgeber der „Bibliothek klassischer Reiseberichte“ (gern läse man auf dem Umschlag die Namen der anderen!) hat hier ein Werk neu aufgelegt, unendlich typisch für die josephinische Zeit. Typisch in dem durchsichtigen Pseudonym des Verfassers, der kerndeutsch war — vom Main! —, typisch in dem Genre des Reiseberichts, typisch in der Gesinnung, durchdrungen vom hochmodernen Aufklä-richt. Es werden also Junker und Pfaffen mit Hohn und Spott, Friedrich II. von Preußen mit Schmeicheleien überschüttet. Das ist ja nun eine alte Sitte der Freiheitsmänner; ein Despot sei nur antiklerikal, und keine Lobsprüche sind zuviel für ihn. Unterhaltsam ist die Beschreibung von Österreich; der aufgeklärte Kaiser wird natürlich gelobt — die Geistlichkeit und der meiste Adel herabgesetzt. Das katholische Landvolk darf ebensowenig auf des aufgeklärten Reisenden Nachsicht zahlen; am schlechtesten kommen die Steirer weg: „In wenig anderen Dingen als der studierten Zubereitung ihrer Speisen unterscheiden sich die gemeinen Leute von den Orang-Utangs.“

Es wäre hübsch, wenn man den Text mit zeitgenössischen Bildern versehen hätte! Melancholisch stimmen den Leser die Wörter in Klammern, wodurch der Herausgeber gemeint hat, auch nur einigermaßen veraltete Fremdwörter erklären zu müssen. Es ist deprimierend gqnug, wenn man in heutigen Editionen kommunistischer Länder banalste Ausdrücke aus der nichtmarxistischen Welt so interpretiert findet; es wäre traurig, wenn Ähnliches anderswo nötig wäre. Sind die Menschen von heute solche Yahoos, daß man ihnen — ein Beispiel! — „Traiteur“ verdeutschen muß? Oder müßte man auch „Yahoo“ verdeutschen... ? (Den Herren von der Mittelschulreform zur Erwägung.)

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