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Deutschland vor 1805

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Wenn ein Buch einer Einleitung von Golo Mann gewürdigt wird, kann man sich die Tendenz ja beiläufig vorstellen; und man wird sich nicht geirrt haben. Hier liegt vor uns ein Buch von der erwünschtesten Art für den Geschichtsfreund — eine Sammlung von Zeltdokumenten, die nicht den politischen Geschichtsablauf, sondern das tägliche Leben aller Klassen, vom Kaiserhaus bis zu den Verbrechern, betreffen. So weit, so gut. Aber die Tendenz ist da; sie wird löblicherweise schon im Buchtitel angekündigt, wo die „gute alte Zeit“ in hämische Gänsefüßchen gesetzt wird.

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Wenn ein Buch einer Einleitung von Golo Mann gewürdigt wird, kann man sich die Tendenz ja beiläufig vorstellen; und man wird sich nicht geirrt haben. Hier liegt vor uns ein Buch von der erwünschtesten Art für den Geschichtsfreund — eine Sammlung von Zeltdokumenten, die nicht den politischen Geschichtsablauf, sondern das tägliche Leben aller Klassen, vom Kaiserhaus bis zu den Verbrechern, betreffen. So weit, so gut. Aber die Tendenz ist da; sie wird löblicherweise schon im Buchtitel angekündigt, wo die „gute alte Zeit“ in hämische Gänsefüßchen gesetzt wird.

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Zweck der Übung ist also eingestandenermaßen, dem Leser die Meinung zu benehmen, als ob es in deutschen Landen vor dem Ende des alten Reiches besser ausgeschaut hätte, als nach der napoleonischen Umwälzung oder gar heute. Es wäre gar nicht schwer, eine ebenso ursprüngliche Sammlung von Belegen konträrer Tendenz zu drucken. Aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wüßten wir sehr wohl Beispiele intensiven Kulturlebens mancher Klöster, freiheitlicher Einrichtungen mancher Reichslande und -städte zu bringen. (Ich kann nichts dafür, daß einschlägige Bücher gerade die schwarzenbergischen Lande Kleggau und Gim-bor als Beispiele aktiver Volksvertretungen nennen.) Wir wüßten neben lüderlichen Fürsten gewissenhafte Landesherren, wir wüßten ausgedehnte Spitalseinrichtungen, wohlhabende Bauernschaften, ja unter den Einwohnern minderen Rechts Judengemeinden in durchaus erfreulichen Lebensumständen zu belegen. Das wäre nicht mehr und nicht weniger zuverlässig, als was uns der Autor hier vorsetzt. Doch freilich — manchmal legt er seine Tendenz so offen an den Tag, daß er richtig entwaffnend wirkt. Bei dem vorerwähnten Absatz aus Lang (und noch sonstwo) ruft er entsetzt: Und dabei war in Frankreich schon die Revolution ausgebrochen! Als ob daraufhin über Nacht ganz Deutschland eine demokratische Republik — oder weiß ich was — hätte werden müssen.

Und doch ist dies ein durchaus lesenswertes Buch, da es ja eben ursprüngliche Zeitbilder bringt; nur gehört dazu freilich »in belesener Leser...

REPORT EINER „GUTEN ALTEN ZEIT.“ Zeugnisse und Berichte 1750 bis 1805. Von Peter Lahnstein, mit einem Vorwort von Golo Mann. Stuttgart, Kohlhammer, 1970. 586 Seiten. DM 29.—.

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