7132478-1997_32_10.jpg
Digital In Arbeit

Post als Kulturstörung

Werbung
Werbung
Werbung

Die kulturellen Folgen der „neuen Post” sind noch gar nicht abzuschätzen. Sicher ist aber bereits jetzt, daß der bisher normale briefliche Kontakt aufs empfindlichste gestört und erschwert wird. Die Teilung in „priorite” und gewöhnliche Beförderung deklassiert die bisher übliche zur unwichtigen, nebensächlichen Post, zwingt also den Schreiber zu erheblicher Verteuerung, auf die er zwar nicht eingehen muß, die er aber auf eigenes Risiko - was Sicherheit und Schnelligkeit betrifft - nur als Falle auffassen kann. Die Warnungstafel der Post ist ja unübersehbar, sodaß man eigentlich seriöserweise von vornherein zu „priorite” gezwungen wird. Wer mit dieser Zwangsmaßnahme nicht einverstanden ist, also die rapide, aber heuchlerische Preiserhöhung nicht akzeptiert, sondern sich auf normale Postverantwortung verläßt, ist selber schuld.

Freilich gibt es da noch „Fax”, was wohl der Post am liebsten ist, weil das die geringste Arbeit kostet. Aber will und muß man alles Postalische faxen, geht das überhaupt? Und wie steht es mit einem längeren, menschlich wichtigen, vielleicht sogar kulturell bedeutenden Briefwechsel? Kann man sich den Briefwechsel von Freud mit Wilhelm Fließ per Fax vorstellen, den von Freud mit Lou Salome, von Goethe und Schiller? Wenn man heute nicht „priorite” wählt, muß mit einer Wegdauer von fünf bis 14 'lagen auch bei nächster Entfernung gerechnet werden, wie die Drohung eines Sprechers der Post-Generaldirektion kürzlich lautete. Warum wagt man nicht dort die radikale Preiserhöhung, sondern bietet eine durch und durch unseriöse Ieistung überhaupt an? Die Kategorie der literarischen Korrespondenz hat damit jedenfalls einen schweren Schlag erlitten. Die Schätze an Briefen wie von Canetti, Sperber, Cioran, Boll - die allerdings von den Verlagen seit langem ignoriert werden - kommen in Zukunft mit Sicherheit erst gar nicht mehr zustande.

Die Kultursoziologie wird noch unermeßlich viel daran arbeiten müssen, die Folgen von Telefon, von Fax, E-Mail und solchen Dummheiten wie der „neuen Post” auf die Kultur, besonders die Literatur, festzustellen und zu analysieren. Wir fliegen zum Mond und zum Mars, aber einen Brief in Wien oder London, aufgegeben in der Früh, am Abend desselben Tages (mit normaler Post) am Ziel derselben Stadt zu haben, ist man seit langem nicht mehr imstande.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung