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Zarte, verstörende Geschichten von Getriebenen und Zerrissenen

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Ach, das mit der Rippe, das kannst du vergessen!" meint die Schlange, die Eva dazu überredet, Adam den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu überreichen. Die Erkenntnis gibt es für Adam nur einen Augenblick lang und sie bleibt als göttlicher Funke, der die Menschen seither suchen läßt und zu Getriebenen und Zerrissenen macht. Die geheimnisvollen Grafiken von M. C. Escher inspirieren Gertraude Portisch zur Bekonstruktion des Sündenfalls: Eva wollte die Liebe Adams zurückgewinnen. Adam wollte all die quälenden Fragen beantwortet haben. Wer hat die Schuld? Welche Rolle spielte die Schlange? Und welche Rolle Gott? Ist ihm ein Fehler unterlaufen? So, wie in dieser Erzählung, bleiben in allen Geschichten dieses Buches mehr Fragen offen als beantwortet werden.

Es sind zarte, verstörende Geschichten, die Gertrude Portisch erzählt. Geschichten von Menschen, die durch scheinbar unbedeutende äußere Anlässe so erschüttert werden, daß für Sekunden oder für den Rest ihres Lebens ihre Fassaden einstürzen. Da ist das Liebespaar, das sich nach Jahren der Trennung mit bangem Herzen einander nähert und in der Wüste Israels versucht, die gemeinsame emotionale Zukunft aufzuspüren. Da ist ein geheimnisvoller Geigenspieler am Waldrand, der die Urlauberfamilie beim Picknick verwirrt zurückläßt.

Da ist die geerbte Bibliothek und eine Männerfreundschaft, die das Scheitern einer Wissenschafter-Ehe sichtbar macht.

Zwei ältere Damen, deren Reise-gruppen zufällig in einem alten Schloß aufeinandertreffen und die plötzlich von den Erinnrungen an ihre Liebesbeziehung zueinander überrollt werden, die viele Jahre zurückliegt. Daß die heftigen Gefühle der beiden Frauen während der Besichtigung der haremsähnlichen Schlafgemächer eines Papstes aus dem 17. Jahrhundert aufbrechen, und daß sie den anderen Reiseteilnehmern verborgen bleiben, ist für Gertraude Portischs Geschichten charakteristisch.

In allen ihren Bildern beschreibt sie Menschen mit alltäglichen Pflichten, guten Manieren und gesellschaftlichen Tabus, und deren völlig konträre Innenwelt, in der Gefühle Grenzen sprengen. Es gibt in Gertraude Portischs Schilderungen (so wie in ihren Gedichten) Landschaften, Steine und viele Weggabelungen zum Scheitern oder Gelingen, aber keine Wertungen. Doch manche Mauern sind unüberwindbar: Die verwirrte alte Dame mit altösterreichisch-adeligem Namen im riesigen, kahlen Wartezimmer eines Krankenhauses, hilflos mit dem Seidenschal in den Bädern ihres Bollstuhls verwickelt und deshalb von einer ungeduldigen Krankenschwester angeschnauzt - ihr kann man zwar den Seidenschal lösen, aber darüber hinaus als Weg zur Veränderung nur einen sanften Tod wünschen.

Nach der Lektüre von Gertraude Portischs neuestem Buch fehlen dem Käfig der eigenen Vorurteile, der vor allzu verwirrenden Gefühlen schützen soll, einige Gitterstäbe. Und was Gertraude Portisch über den Grafiker M. C. Escher schreibt, gilt für jede der vorliegenden Erzählungen: „Auf jedem Blatt von Ihnen steht unsichtbar ein großes Fragezeichen."

IRRWEGE. ESCHER. ADAM.

Von Gertraude Portisch Illustrationen von Alfonso Madden Edition Atelier im Wiener Journal Verlag, Wien 1995. 186Seiten, geb., öS280.-

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