Die Räuber im Haus

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Den Chefredakteur der Traditionszeitung "Iswestija" kostete das Beslaner Geiseldrama vor einem Jahr den Job. Raw Schakirow im Interview.

Einen Tag nach dem Sturm der Schule in Beslan wurde Raf Schakirow, damals der Chef der Traditionszeitung Iswestija, auf direkte Anweisung des Kremls entlassen, weil er zu unverblümt über das Ereignis berichtet hatte.

Schakirow wurde 1960 im kasachischen Semipalatinsk geboren und studierte Geschichte in Moskau. Er war Chefredakteur der Zeitung Kommersant, später Vizepräsident des Kanals tv-Centr und anschließend Chefredakteur der Zeitung Gaseta. Ein knappes Jahr leitete Schakirow als Chefredakteur die Iswestija, ehe er Anfang September 2004 den Hut nehmen musste.

Die Furche: Hat man Sie tatsächlich wegen "zu naturalistischer Darstellung" von Beslan entlassen?

Raf Schakirow: Diese formale Erklärung habe ich mit meinen damaligen Herausgebern Prof-Media ausgearbeitet. Sie sagten mir, ich würde ja den wahren Grund kennen. Dass der Kreml hinter meiner Entlassung steht, ist eindeutig. Sofort nach Erscheinen der Zeitung riefen drei Leute - Kremlsprecher Gromow und die Administrationsleiter Medwedjew und Surkow - bei der entsprechenden Stelle an. Der Kreml hatte Panik. Wir hatten nicht nur das ganze Cover mit den schrecklichsten Bildern voll, wir hatten auch andere verschwiegene Informationen abgedruckt. Beim letzten Zeitungskongress in Seoul hat man unsere Ausgabe vom 4. September als innovatives Beispiel gewürdigt.

Die Furche: Wie steht es um die vierte Macht in Russland?

Schakirow: Die Funktion einer Alarmanlage haben die Medien verloren. Bei uns wird nicht auf Wunden hingewiesen, sondern die Krankheit verborgen. Wenn wir aber nur loben und rühmen, so kommt dabei nichts Gutes heraus. Man denkt, es ist alles in Ordnung, während die Räuber einem das Haus ausräumen.

Die Furche: War es vor Putins Amtsantritt so viel besser?

Schakirow: Ich kann nur sagen, dass die Situation gesünder war. Voraussetzungen für eine freie Entwicklung waren da, selbst bei den Kriegen der Oligarchie wurde am Prinzip festgehalten, dass der Bürger Zugang zu einer Vielzahl an Informationsquellen haben muss. Jetzt stehen alle tv-Kanäle unter voller Kontrolle durch den Kreml. Live-Sendungen fehlen völlig, politische Talk-Shows sind meistens vorab aufgezeichnet und es mangelt an seriöser Diskussion realer Probleme.

Die Furche: Wie geht der Kreml bei den Zeitungen vor?

Schakirow: Der Prozess ist wie beim Fernsehen ein schleichender - nach und nach werden Programma abgesetzt, dann Leute ausgewechselt. Regierungskritische Stimmen verschwinden in den Medien genauso wie in der Politik.

Die Furche: Welche Möglichkeiten haben die Zeitungen, auf die Kontrolle zu antworten?

Schakirow: Viel hängt noch von den Chefredakteuren ab, wie sie ihre Möglichkeiten nutzen. Sie sind jedoch verwundbar geworden, denn sobald etwas Außergewöhnliches passiert, müssen sie sich entscheiden, entweder weich zu reagieren oder auf einen offenen Konflikt hinzusteuern - was zur Entlassung führen kann. Heiße Themen werden deswegen möglichst umschifft. Warum soll man sie auch aufgreifen? Sie bringen nur Hämorrhoiden, wie man bei uns sagt.

Die Furche: Zeitungen haben in Russland eine ziemlich geringe Auflage. Was hat der Kreml vor ihnen zu befürchten?

Schakirow: Viele tv-Kanäle verwenden solche Zeitungen, die gutes Material bieten, als Informationsquelle. Auch ist das Zeitungspublikum zwar gewiss kleiner als das tv-Publikum, aber qualitativ gesehen, ist es ganz anders zusammengesetzt. Die Leute, die lesen, gehören immerhin zur Elite, die die Entscheidungen im Land trifft. Und wenn es zu heiklen Ereignisse kommt, steigt die Auflagenzahl der Zeitungen umgehend - nach Beslan etwa sind alle Exemplare weggegangen. Warum? Viele Leute schauen sich die Ereignisse im Fernsehen an, am nächsten Tag aber zeigt das Fernsehen kaum noch etwas. Die Leute aber wollen mehr und Genaueres wissen. Beslan war ein wichtiges nationales Ereignis, eine Tragödie. Das tv-Publikum stand vor einem schrecklichen Widerspruch: nachdem es die Zeitungen gelesen hatte, musste es in einer völligen anderen Weise als davor urteilen.

Die Furche: In zweieinhalb Jahren sind Wahlen. Was ist auf dem Mediensektor zu erwarten?

Schakirow: Wir erleben jetzt eine massive Umverteilung der Kräfte. Neben dem Deal mit der Iswestija läuft parallel einer mit der Zeitung Moskowskije Nowosti. Unabhängige Zeitungen werden verkauft, Führungskräfte ausgetauscht. Das alles passiert aber nicht etwa auf Grund der Erhöhung von Reklamepreisen, der Markt entwickelt sich völlig normal. Es geht hier um Politik. Eine nützliche Form für Russland ist das Internet, aber es ist nicht so verbreitet wie im Westen, außerdem ist das Auditorium jung und zersplittert. Die Internet-Infosites arbeiten gut, was ein Beweis dafür ist, dass Nachfrage nach guter Information herrscht.

Das Gespräch führte

Eduard Steiner/Moskau.

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