Recherche kann töten

Werbung
Werbung
Werbung

Was österreichischen Medien dieser Tage in Moskau widerfuhr, ist Alltag für russische Medien: Wer unfreundlich berichtet, wird bestraft.

Wenige Tage vor dem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Österreich hat der Kreml ein Interview mit österreichischen Medien abgesagt. Wer nämlich unfreundlich berichtet, der wird bestraft. In Russland ist dies Alltag.

Recht anschaulich hat eine Journalisten der an sich renommierten russischen Tageszeitung Nesawisimaja Gaseta der Furche gegenüber geschildert, wie die Zensur sich immer mehr den Weg in ihr Blatt gebahnt hat: "Von Monat zu Monat habe ich meine Artikel immer weniger wiedererkannt. Was ich geschrieben habe, und was dann gedruckt wurde, hatte zum Schluss schon kaum etwas miteinander zu tun." Die Journalistin, die sich durch ausgewogene Berichterstattung einen Namen gemacht hatte, wechselte zu einem Blatt, bei dem die Hoffnung auf relative Unabhängigkeit noch weiter besteht.

Viele russische Medienleute können aus eigener Erfahrung bestätigen, was die junge Journalistin erzählt. Letztes Wochenende etwa haben mehrere Journalisten des Radionetzwerkes Russian News Service aus Protest gegen plötzliche Einschränkungen ihrer Berichterstattung gekündigt. Mit dem neuen Chefredakteur war die regierungskonforme Linie gekommen.

Wenig Medienfreiheit

Im Jahr 8 von Putins Herrschaft ist medial im Land wenig an Freiheit übrig. Das immer beliebtere Internet mit seinen guten Informationsseiten macht den Verlust nur bescheiden wett. Und wenn Putin sagt, er könne von den 62.335 Zeitungen und 16.875 elektronischen Medien, selbst wenn er wollte, gar nicht alle kontrollieren, so spiegelt dies einzig den landesweiten Zynismus. Die wichtigsten Medien nämlich stehen unter Kontrolle.

Als erstes kam das TV unter die Räder. Die Übernahme des Kanals NTW 2002 hatte sich noch schwierig gestaltet und war von heute unvorstellbaren Protesten begleitet worden. Alsbald kam das staatliche Kontrollrad in Schwung. Heute werden die drei großen TV-Sender Rossija, Pjerwyj Kanal und NTW, die landesweit zu sehen sind, sowie die wichtigsten Radiosender von der Staatsmacht kontrolliert. "Das TV-Bild ist heute eines unserer größten Übel", erklärt Alexej Simonow, Chef der "Glasnost Defence Foundation": "Es fehlt jeder alternative Standpunkt".

Der ist auch bei den Zeitungen marginal geworden. Mit der Geiselnahme von Beslan 2004 begann der Schlag gegen die Printmedien. Nach dem Sturm der Schule wurde der Chefredakteur der Traditionszeitung Iswestija, Raf Schakirow, entlassen, weil er zu unverblümt über das Ereignis berichtet hatte. "Der Kreml hatte Panik", erzählt Schakirow der Furche. Gleichzeitig drei höchstrangige Leute aus dem Kreml hätten interveniert. Wie viele andere Medien ging auch die Iswestija folglich an Gasprom-Media, die Tochter des halbstaatlichen Gasmonopolisten Gasprom.

Heute sind die Medien neben dem wieder erstarkten Geheimdienst und Wahlgesetzen, die nur das Lager der Machthaber begünstigen, und einem medial hoch gehaltenen Rating des Präsidenten die Stütze des Regimes. "Nicht nur die vierte Macht im Staat fehlt, es fehlt auch die zweite und die dritte", sagt Schakirow. Die Leiter der TV-Kanäle und Zeitungen würden jeden Donnerstag in den Kreml gerufen, um zu erfahren, was wann zu berichten ist, erzählt die Enthüllungsjournalistin Jewgenija Albaz: "Mit gigantischen Löhnen werden die Journalisten gekauft."

Die Kämpfer fürs freie Wort teilen die im Westen idealisierte Vorstellung nicht, vor Putin sei es gut um die Meinungsfreiheit in Russland gestanden. "Bei den Präsidentschaftswahlen 1996 haben die Medien zur Abwendung einer kommunistischen Revanche den Pluralismus in eine Schwarzweißmalerei verwandelt", meint Simonow: "Bis 1996 glaubten 85-90 Prozent an die Freiheit der Medien, danach sank das auf 8-10 Prozent."

Schändlicher Platz 147

Dennoch sind sich Branchenkenner einig, dass die oligarchischen Medien der 90er Jahre wenigstens das Prinzip der medialen Vielfalt geboten haben. "In den 90er Jahren stieg wenigstens jede dritte Zeitung auf die Publikation heiklen Materials ein. Jetzt ist das praktisch unmöglich", meint Jewgenija Albaz, investigative Journalistin beim Radiosender Echo Moskwy: "Außerdem haben alle Angst, mit Ihnen zu reden und Daten zu nennen. Die Investigation muss sich auf eine anonyme Quelle berufen. Das tötet die Recherche."

Dass die Recherche töten kann, wurde zuletzt im Fall Anna Politkowskaja wieder traurige Wahrheit. Sie war die dritte Journalistin des mutigen Blattes Nowaja Gaseta, die ihre Arbeit mit dem Leben bezahlte. Laut russischem Journalistenverband wurden in Russland seit 1991 bis Oktober 2006 261 Journalisten ermordet - nur 21 Fälle wurden aufgeklärt. Demnach ist Russland das weltweit drittgefährlichste Land für Journalisten. Im Pressefreiheitsrating von Reporter ohne Grenzen gelangte Russland im Vorjahr auf den schändlichen 147 Platz von 168 Ländern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung