Al Pacino brilliert als gieriger Geldverleiher in Michael Radfords filmischer Adaption von Shakespeares "Kaufmann von Venedig".
Er ist die umstrittenste Figur, die William Shakespeare zu Papier gebracht hat: Shylock, der jüdische Geldverleiher aus "Der Kaufmann von Venedig". Der Schotte Michael Radford hat jetzt als erster Filmemacher das komplexe Stück auf die Leinwand gebracht. Schauplatz der Geschichte um Liebe, Gier und Rache ist Venedig im Jahr 1596. Jüdische Kaufleute leben davon, für Wucherzinsen Geld zu verleihen. Die Venezianer hingegen verachten die Juden und behandeln sie als Menschen zweiter Klasse. Als Bassanio (Joseph Fiennes) seinen Freund Antonio um Geld bittet, um seine Angebetete Portia umwerben zu können, muss sich dieser an Shylock (Al Pacino) wenden. Der stellt jedoch eine Bedingung: Sollten die 3000 Dukaten nicht zurückgezahlt werden, verlangt er anstelle der Zinsen ein Pfund Fleisch - aus Antonios Körper. Als dieser das Geld nicht zurückzahlen kann, fordert Shylock schließlich sein Recht ein.
Im Gegensatz zu modernen Shakespeare-Adaptionen wie "Romeo und Julia" arrangiert Regisseur Radford ("Il Postino") seinen Kaufmann exakt nach Shakespeare. Dennoch könnte der Plot auch im zeitgenössischen New York spielen: Schließlich gelingt es Radford trotz der textgetreuen Umsetzung, die komplexe Sprache natürlich und verständlich umzusetzen. Hinzu kommt, dass die Charaktere mit menschlichen Schwächen gezeigt werden, die heute ebenso an der Tagesordnung sind wie im 16. Jahrhundert. Venedig wird als düstere Gesellschaft inszeniert, in der Diskriminierung und Hass regieren. Kameramann Delhomme verleiht den Szenen durch innovative Perspektiven und perfekt inszenierte Lichtgebung einen gemäldeartigen Charakter, der durch regelmäßigen Handkamera-Einsatz gebrochen wird. Mit Al Pacino als verbittertem Geldverleiher hat Radford wohl den besten Darsteller des vielschichtigen Charakters gefunden. Denn Pacino zeigt auf Grund seiner schauspielerischen Komplexität auch Shylocks bemitleidenswerte Seite, die bei Shakespeares Vorlage kaum zu finden ist. So wird "Der Kaufmann von Venedig" zum mitreißenden Drama, dem der Spagat zwischen Authentizität und Modernität hervorragend gelingt.
Der Kaufmann von Venedig
GB/I 2004. Regie Michael Radford. Mit Al Pacino, Jeremy Irons, Joseph Fiennes, Lynn Collins. Verleih: Sony. 131 Min.
