Engel im freien Fall

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"Buongiorno, notte" ist die persönliche Geschichte einer Kombattantin der Roten Brigaden, die bewusst politische Fragen offen lässt.

Engel können fallen, aus Idealisten können Fanatiker und Terroristen werden. Davon kann man sich auch in Marco Bellocchios Polit-Thriller "Buongiorno, notte", der 2003 bei den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt wurde, überzeugen. Im Mittelpunkt steht die Entführung und Ermordung des italienischen Vorsitzenden der Democrazia Cristiana, Aldo Moro, im Jahr 1978 durch die Roten Brigaden. Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Bellocchio entscheidet sich bei der Bearbeitung dieses Ereignisses für eine kühle Erzählperspektive und baut sie über die Figur Chiaras (Maya Sansa), die den Brigaden angehört, auf. Sie mietet die Wohnung, in der Aldo Moro (Roberto Herlitzka) festgehalten wird und schwankt emotional zwischen der radikalen Position ihrer Genossen und dem Verständnis für den Häftling. Bellochio macht keinen Hehl daraus, dass er seinen Film als Fiktion verstanden wissen will und beweist ein besonderes Gespür für Räume sowie die Auflösung von Gefühlen in Bilder. Eine ungeheure Kraft entwickelt der Film in einer Szene, mit der "Buongiorno, notte" durchaus hätte enden können: Chiara betäubt die anderen Kidnapper und lässt Moro gehen, der wie ein fröhlicher Geist im Morgengrauen entwischt. Unverkennbar, dass es sich hier nur um einen Traum handeln kann.

Bellocchio sperrt die Außenwelt bewusst aus. "Buongiorno, notte" ist daher eine stark fiktionalisierte Geschichte, die sich auf die inneren Kämpfe der passiv agierenden Chiara konzentriert.

Herausragend ist auch Luigi Lo Cascio: Er verkörpert einen Kombattanten der Roten Brigaden, Mariano, der die pathetische und exzentrische Geste meidet. Seine Erscheinung ist unauffällig und sympathisch. Seine Spielweise nüchtern und klar. Ideale Projektionsflächen also für Figuren, in denen Unschuld und Rebellion, Widerstand und mögliche Versöhnung zusammenfinden sollen.

Es gibt also einen entscheidenden Unterschied zwischen Marco Bellochios Umgang mit Zeitgeschichte und demjenigen einer Margarethe von Trotta ("Rosenstraße"): Er gibt nicht vor, zu zeigen, was war, sondern entwickelt aus den historischen Geschehnissen ein eigenes, kleines Kunstwerk.

BUONGIORNO, NOTTE

Guten Tag, Nacht

I 2003. Regie: Marco Bellocchio. Mit

Luigi Lo Cascio, Maya Sansa, Roberto Herlitzka. Verleih: Stadtkino. 105 Min.

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