Europa cum grano salis

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"Wer ein Säch mit Unrecht fanget an, / Gar selten sie mit Recht vollenden kan." Dieser bedenkenswerte Spruch aus dem Jahr 1756 ziert das Rathaus zu Gmunden. Als Dokument aufrechten Bürgersinns in einer Gegend, die durch Jahrhunderte vom europaweiten Salzhandel profitierte, weckt er Assoziationen mit dem aktuellen Zustand Europas, der nun auch beim Europäischen Forum Alpbach in wohlgesetzten Worten beklagt wird.

Aber fing die Einheit der 25 nicht mit Unrecht an? Der Status quo, auf den die eu-Verfassung hätte gegründet werden sollen, ist fragwürdig. Robert Menasse hat dies in seiner Salzburger Wider-Rede auf den Punkt gebracht: "Die wir wählen, machen nicht die Gesetze, und die, die die Gesetze machen, haben wir nicht gewählt." Beim Reden über Europa dominiert trotz Klage und Kritik der Konsens: dass die europäische Einheit an sich erstrebenswert sei. Kaum einer fragt, wozu. Menasse fragt und gibt eine provokante Antwort: Die eu sei ein Projekt, "das vormals demokratische Staaten zum Zwecke der gemeinsamen Abschaffung der Demokratie gegründet haben". Zum Nutzen der globalisierten Wirtschaft.

Der verdächtig emphatische Einsatz der Begriffe "Europa" und "europäisch" im offiziös gelenkten Diskurs erhärtet diese These. Als wäre das - wie einst "deutsch" - schon ein Qualitätsurteil. Der Autor Julian Barnes meinte dagegen in Salzburg, es gebe keine "europäische Literatur, nur europäische Literaten": "europäische Literatur" sei "wie Essen im Flugzeug: Es sieht gut aus und ist doch nicht nahrhaft".

Die gute alte Ideologiekritik kann freilich auch auf den Kritiker zurückfallen: Als Menasse im tv gegen Kapitalinteressen und Kultursponsorship wetterte, trug er einen Aufkleber mit dem Firmennamen "Suhrkamp". Keiner hat ihn gefragt, ob das als ironischer Selbstkommentar zu verstehen sei.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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