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Voller Poesie, Sprachwitz und subtiler Situationskomik verfolgt Alain Corneau in "Stupeur et Tremblements" den Abstieg der Belgierin Amélie zur Kloputzfrau in einer japanischen Firma.

Bachs Goldbergvariationen, die Kamera gleitet über ein weiß gepudertes Gesicht, der Mund ist in Geisha-Manier zum schmalen Rechteck geschminkt: ein Bild vollkommener Ästhetik, aus dem irritierend blaue Augen blitzen. Sie gehören der Belgierin Amélie, die ihre Kindheit in Kansai verbrachte und Japanerin sein will. Ein paradoxes Ideal, das zwangsläufig an der Wirklichkeit scheitern muss. Amüsant, feinsinnig und poetisch begleitet Alain Corneaus "Stupeur et Tremblements" ihren schmerzhaften Gang durch die strikte Hierarchie des Yumimoto Konzerns.

Der Film hält sich stark an Amélie Nothombs Roman, sein spezifischer Sprachwitz durchwirkt die Tonspur. Sylvie Testud ist die ideale Verkörperung der Amélie, die scheinbar beugsam, doch einfallsreich subversiv das System unterläuft. "Vom ersten Tag stürzte ich mich aus dem Fenster": dieser Ausblick auf Wolkenkratzer ist alles, was man von Tokio sieht, Schauplätze beschränken sich auf gesichtslose Flure, Großraumbüros, Chefzimmer, Kaffeeküche und Toiletten, dem fulminanten Endpunkt vom stetigen Fall von der Karriereleiter. Der anonyme Office-Tower mit den streng reglementierten Verhaltenskodices, demütig zu erduldenden, willkürlichen Unterwerfungsakten wird zum Mikrokosmos der japanischen Gesellschaft, die ihr Geheimnis wahrt, weil sie sich aus Amélies Perspektive erschließt.

Schon ihre erste Aufgabe, die Formulierung einer Zusage zum Golfspiel, artet in Demütigung aus: unwillig schnaubend entsorgt der Vorgesetzte Herr Saito (Taro Suwa) alle Briefe unkommentiert im Papierkorb. Chronisch unterbeschäftigt, erfindet sich Amélie Betätigungsfelder: kocht hingebungsvoll Kaffe und Tee, blättert Tischkalender um, in Samuraimanier zelebriert sie den Blattwechsel zu Monatsende vor versammelter Belegschaft. Im Konzern erweckt ihre so unjapanische Individualität Unmut, Amélie wird weiter degradiert. Als hochqualifizierte Dolmetscherin darf sie nur einmal - auf die später geahndete Eigeninitiative des mutigen Herrn Tanshi (Yasunari Kondo) hin - glänzen. Ihn verklärt sie ebenso wie den smarten Firmenchef Unaji (Gen Shimaoka) oder ihre unmittelbare Vorgesetzte, Fräulein Mori Fubuki (Kaori Tsuji). Die verzückte Betrachtung der makellosen japanischen Schönheit lässt selbst die eigene subtile Tortur auf Raten erdulden, sparsam und geschickt setzt Corneau Kindheitssequenzen und Filmzitate ein.

Faszinierend ist die Doppeldeutigkeit des Films: europäische Anteilnahme mutiert zum japanischen Gesichtsverlust, kulturelles Missverstehen ist Schwäche wie Stärke Amélies. Sie ist nicht zu brechen, begegnet Demütigung mit noch mehr Demut, ohne ihren Charakter zu leugnen. So bringt sie das Firmenkorsett ins Wanken, ihr Job als Klofrau führt einen Teil der Mitarbeiter zum WC-Boykott, Machtverhältnisse wenden sich. Hilflos brüllt der mächtige Haneda (Sokyu Fujita) hier um Klopapier, zeigt Mori ihr wahres Gesicht.

Zuletzt ist Amélies Ideal, Japanerin sein zu können, zerbrochen, dafür hat sie in der Fremde zu sich gefunden. "Stupeur et Tremblements" zeigt Strukturen und Zwiespalt auf, die auch hiesige Arbeitswelten prägen, und lässt so im Fremden das Eigene entdecken.

Stupeur et Tremblements - Mit Staunen und Zittern

Frankreich/Japan 2003

Regie: Alain Corneau

Mit Sylvie Testud, Kaori Tsuji

Taro Suwa, Yasunari Kondo.

Verleih: Filmladen. 107 Min.

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