Vernetzte Experimente

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Seit zwei Jahren ermöglicht das Radiokunst-Netzwerk "Radia" kulturellen Austausch zwischen neun Ländern - über alle Sprachgrenzen hinweg.

Wenn man Kopfhörer über ein Mikrofon stülpt und den Pegel voll aufdreht, dann quietscht und grammelt es kräftig. Rückkopplung heißt der Fachbegriff. Radiokunst sagen andere. Zu letzteren zählt die Wiener Redaktion des Radiokunst-Netzwerkes Radia, die eine halbstündige Sendung mit den mehr oder weniger natürlichen Geräuschen des Studioequipments gefüllt hat. Eine Sendung, die mit dem Jingle "we bring new and forgotten ways of making radio to our listeners" innerhalb einer Woche auf elf Radios in neun Ländern laufen wird.

Radia macht's möglich. Elf Partnerradios, alles freie, nicht-kommerzielle Kultursender, produzieren ihre Stücke abwechselnd, jede Woche gibt es in Brüssel, New York, Marseille, Skopje, Prag, Wien, London, Budapest, Lissabon, Berlin und Sofia eine Sendung aus einer dieser Städte zu hören. Inhaltlich sind den Künstlern, die die Stücke meist ehrenamtlich gestalten, keine Grenzen gesetzt. Radiokunst, lautet das Motto, das viele Interpretationen zulässt.

Lebendinger Dialog

"Der Anspruch ist, dass das Medium selbst reflektiert wird", erklärt Fiona Steinert, eine der Mitgründerinnen von Radio Orange 94,0, dem Sender, der in Wien für Radia verantwortlich zeichnet. "Es soll zum Beispiel nicht einfach Musik sein, sondern etwas, das genuin und spezifisch für das Radio geschaffen wurde." Steinert war seit dem Startschuss im April 2005 an dem Projekt beteiligt. "In mehreren Ländern ist parallel das Bedürfnis entstanden, lokale Radiokunst über Sprachgrenzen hinweg auszutauschen." Denn schon an den Sprachbarrieren müssten kommerzielle Versuche, eine europäische Öffentlichkeit zu erreichen, scheitern, sind die Beteiligten überzeugt. Im experimentellen Bereich sehen sie eine Chance auf Verständigung.

"Es ist eine Herausforderung, mit Geräuschen und Sprachfragmenten eine Verbindung zwischen den Kulturen herzustellen", beschreibt Etienne Noiseau, der bei Radio Grenouille in Marseille für Radia verantwortlich ist, seine Arbeit. "Unser Netzwerk ist zu einer Zeit entstanden, in der viele Leute nicht mehr an die EU geglaubt haben. Der lebendige kulturelle Dialog hat gefehlt."

Finanzielle Unterstützung, die man sich bei der Gründung von der EU erhofft hatte, wurde nicht gewährt. Vor allem in Osteuropa, wo es in vielen Ländern keine freien Radios gibt, werden die Radia-Produktionen also ausschließlich aus der eigenen Tasche der Mitarbeiter finanziert und über das Internet gesendet. In Wien dagegen wird das Projekt nicht nur vom freien Radio Orange 94,0 getragen, sondern auch vom öffentlich-rechtlichen Ö1-Kunstradio unterstützt.

Die Wiener Radia-Redaktion setzt sich aus sechs Personen zusammen, die auch hauptberuflich künstlerisch tätig sind. Caroline Hofer ist Autorin, der Aspekt der Sprache fasziniert sie auch an Radia besonders. "Radiokunst bedeutet auch, dass es gelingt, einen künstlerischen Sinn herzustellen, ohne dass man den Text wörtlich verstehen muss." Wenn aus Verständnisgründen auf Englisch ausgewichen werde, ginge dabei schnell die Authentizität verloren.

Sprachvielfalt nutzen

Aus diesem Grund ist es Sarah Washington, der Radia-Koordinatorin bei Resonance 104,4 FM in London wichtig, dass die vielen Landessprachen nicht ausgeblendet, sondern in die Beiträge eingebracht werden. "Es ist eine Bereicherung, dass wir mit so vielen Sprachen und so unterschiedlichen Rahmenbedingungen seit zwei Jahren ständig aktiv sind."

Wie eine fremde Sprache ein konstitutives Element von Radiokunst sein kann, hat Resonance mit seinem jüngsten Beitrag gezeigt. "Einige Südafrikaner übersetzen darin Auszüge aus einem Text von Nelson Mandela in ihre jeweilige Muttersprache. Daraus entsteht eine Sprachcollage, die in ihrem Klang und auch auf der sozialpolitischen Ebene international verständlich ist."

Sprachcollage statt Text also, Soundscape statt Musik, Experiment statt Definition. Denn was Radiokunst eigentlich ist und wohin sie geht, wird Woche für Woche ganz neu verhandelt.

www.radia.fm

www.o94.at/programs/radia

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