Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

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Die Geister scheiden sich, wenn es darum geht einzustufen, ob Second Life eine Art Eskapismus oder eine Erweiterung von Lebensmöglichkeiten ist.

Es ist vor allem Kommunikation und Ökonomie", sagt Zukunftsforscher Matthias Horx aus Wien über Second Life (SL). "In gewisser Weise ist es Kapitalismus pur", und auch in dieser zweiten Welt entwickeln sich ganz schnell menschliche Eigenschaften wie Freundschaft und Kultur. "Die Spieler produzieren das Soziale, dessen Zeuge sie selber sind. Sie sind Voyeur und Exhibitionist zugleich."

Für den Cyber-Kritiker Rainer Fischbach aus Berlin stellt SL vor allem eine Mischung aus Eskapismus und Infantilismus dar. "Wir schaffen Dinge in der ersten Welt nicht und flüchten uns in ein zweites, virtuelles Leben." Die Realisierungschancen seien in der realen Welt doch nicht so groß, wie es oft dargestellt wird. Das Ausleben der Wünsche in der virtuellen Welt brauche aber eine ordentliche Fantasieleistung, um sie als ausgelebt zu empfinden.

Horx will in SL keine Flucht aus der realen Welt sehen, denn "es gibt keine reale Welt". Die Kognitionsphilosophie sage uns, dass sich die Menschen in einem reinen Definitionsraum bewegen. "Was wir als Wirklichkeit definieren, ist eine mentale Produktion, die im Wesentlichen in unserem Kopf stattfindet. SL sei einfach eine Erweiterung der Realität, so wie diese früher einmal auch durch den Blick zum Himmel oder die Seefahrt geschah. SL vergrößere so die definierte Wirklichkeit um einen symbolischen Möglichkeitsraum: "Ein Meta-Medium, durch das sich der menschliche Geist erweitern kann."

SL fördert Intelligenz

Für Horx ist klar, dass die mentale Flexibilität durch ein Spiegelungs-Medium erhöht wird. Einige Freiheiten würden in die erste Welt mitgenommen und je komplexer die virtuellen Medien seien, desto mehr führen sie in den Hirnen zu Rückkopplungen, und somit zu Intelligenz. Diese Entwicklungen sollen nicht aus dem "Schmollwinkel bornierter Medienkritik" betrachtet werden, wenngleich schon Plato in eine ähnliche Kerbe schlug, als er das geschriebene Wort verdammte, da es die Lebendigkeit des Gesprochenen beschädige. Der Reiz dieser zweiten Möglichkeit zu leben liegt für Horx darin, durch den Zweitcharakter "Elemente von Es und Über-Ich zu leben." Die Spieler können reich sein, Sex ohne Reue haben und so fort, und wenn das alles einem nicht mehr gefalle, könne der Charakter gewechselt oder gelöscht werden. "Ein Leben im Zeitraffer, im Konzentrat, im Testbetrieb." Und bei allem lerne der Spieler etwas über sich selbst.

Für Fischbach liegt das Motiv der Spieler vor allem in der Befriedigung von Dingen, derer sie im wirklichen Leben nicht habhaft werden können: "Das ist bedenklich", und er stuft die Suchtgefahr bei Spielen wie SL als real ein. Für Horx hingegen sind Spiele in virtuellen Welten ein Zeichen dafür, dass es "uns" gut geht, "und wir in einem Raum erweiterter evolutionärer Möglichkeiten leben wollen".

Thomas Meickl

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