Per Mausklick auf die Mozart-Insel

Werbung
Werbung
Werbung

Neben der realen Welt nehmen virtuelle, für das Internet entworfene 3D-Welten an Bedeutung zu. Die Möglichkeit, jemand anderer zu sein, zieht Millionen von Menschen in den Bann. von Johann Günther

Immer mehr Menschen bewegen sich im Internet. Privat und beruflich. Neben Homepages gibt es im World Wide Web auch virtuell gebaute Welten. Wie fremde Länder laden sie ihre Besucher ein, die Neuheiten zu besichtigen und auch aktiv daran teilzunehmen. Eine dieser virtuellen Welten heißt Second Life. Mit über vier Millionen Teilnehmern ist Second Life (SL) eine der kleinen Communities. Spielecommunities - Menschen spielen gemeinsam über das Medium Internet Computerspiele - haben ein Vielfaches an Teilnehmern. Der wirkliche Boom setzte bei SL ein, als die Deklaration mit einer Kreditkarte wegfiel und man sich seither anonym bewegen kann.

Bytegewordenes Manifest

SL wird so betreten, als würde man in ein fremdes Land einreisen. An der Grenze bekommt man allerdings einen eigenen Körper - den Avatar - zugewiesen. Jeder Spieler kann zwischen acht Basis-Avataren wählen. Wie in einem Kleidergeschäft stehen verschiedene Körperformen zur Auswahl.

Avatar kommt aus dem indischen und bedeutet "göttliche Manifestation auf Erden". Das zeigt schon den Weg in die Fantasiewelt. Es gibt auch eine eigene Währung. Den Linden-Dollar. Beim Eintritt in diese virtuelle Welt bekommt man als Startkapital 250 Linden-Dollar. Damit können Kleider, Wohnung, Auto oder Konsumgüter gekauft werden. Ja sogar eine eigene Insel. Die Grundstückspreise liegen zwischen fünf und 200 Linden-Dollar pro Quadratmeter. Das Geld ist - so wie jede reale Währung - wechselfähig. Linden-Dollar können in US-Dollar gewechselt oder dem Inhaber dazu verhelfen seine Besitztümer in der virtuellen Welt auszubauen. Der Kauf von Linden-Dollar mit realem Geld über die Linden-Börse ist natürlich auch möglich. Die erste Teilnahme ist kostenlos. Dieser Status berechtigt allerdings nicht zum Kauf eines Hauses oder eines Grundstücks. Dazu muss man den Teilnehmerstatus erhöhen und monatlich zirka acht Euro bezahlen.

Second Life ist eine Welt, die nur im Internet existiert. Eine Welt, die aus Häusern, Inseln, Flüssen und Meer besteht - wie unsere echte Welt - nur ist alles programmiert. Existiert nur am Bildschirm und nur aus Bits und Bytes. SL heißt nicht nur zweites Leben, es bietet vielen Menschen auch ein zweites Leben. Neben ihrem realen bewegen sie sich abends und nach der Arbeit im virtuellen Leben. Hier nehmen sie einen eigenen Körper an. Eine Gestalt, die sie vielleicht auch in der Wirklichkeit gerne wären. Viele Menschen ändern ihr Geschlecht. Sind sie im realen Leben ein Mann, gehen sie am Abend im virtuellen Leben als Frau einher. Alte Menschen schlüpfen in die Gestalt eines jungen und erfüllen sich im hohen Alter Jugendträume.

Flucht vor der Realität

Der Weg zwischen Traum und Wirklichkeit wird durch die virtuelle Welt des Internets kleiner. SL führt seine Benutzer in eine Traumwelt. Anfang 2007 lebten bereits drei Millionen Menschen zeitweise in dieser virtuellen Traumwelt. Heute sind es bereits mehr als vier Millionen Menschen. Manche verbringen bereits mehr Zeit in dieser unrealen Welt als an ihrem Arbeitsplatz.

Mit einem schnellen Internetanschluss, einem starken Computer und einer hochwertigen Grafikkarte kann man in die neue Welt eintreten. Man wählt sich einen Namen. Dieser kann ebenfalls der Fantasiewelt angepasst sein. Mit seinem virtuellen neuen Körper Avatar fällt der Spieler in die neue Welt. Zu Beginn ist man als Newcomer ausgewiesen und muss erst den Umgang und die Bewegungen in dieser dreidimensionalen Welt lernen. Mit dem Cursor wird der zweite Körper durch SL bewegt. Die zweite Welt hat auch einen Namen: Svarga.

Virtuell Geld verdienen

Die virtuelle Welt wird mit funktionierenden Wirtschaftsabläufen immer realer. In den 24 Stunden vor Redaktionsschluss wurden 1.597.058 US $ in der virtuellen Welt SL ausgegeben. Zum Zeitpunkt der Überprüfung der Zahlen waren 17.042 Menschen im "zweiten Leben" eingeloggt. Ihre Population wächst täglich. Reale Unternehmen wie Amazon, Sony und Adidas eröffneten Geschäfte in SL. 14.000 Geschäfte sind bereits aktiv. Erste Menschen werden im "zweiten Leben" reich. Es gibt schon Millionäre, die ihr Vermögen in der virtuellen Welt gemacht haben. In SL haben derzeit etwa 1500 Menschen mehr als 500 Euro verdient. Ein erster Beweis, dass virtuelle und reale Welt zusammenwachsen und nicht nur Science Fiction bleibt.

Professor Hermann Maurer aus Graz beschrieb vor einigen Jahren solche Welten noch in seinen Science-Fiction-Romanen. Heute finden wir seine Romanfiguren in der Internetwelt selbstständig und von Millionen von Menschen wie Marionetten gesteuert wieder. In der Wirtschaft verschwimmen die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt. Kauft jemand ein Produkt wie etwa Schuhe, bekommt er einen Gutschein, um dieselben Schuhe in der virtuellen Welt einzulösen. Umgekehrt kann beim Einkauf in der virtuellen Welt ein Bonus für ein reales Geschäft gegeben werden.

Projekte werden von Usern ausgeführt, die sich gar nicht kennen. Auch der Auftraggeber weiß nicht wer sie sind. Die Stadt New York vergab so einen Programmierauftrag über eine halbe Million Dollar, das von zehn Personen ausgeführt wurde. Zwei davon waren Österreicher. Der Auftraggeber kannte keinen, die Österreicher auch ihre Mitarbeiter nicht. Alles blieb anonym und trotzdem wurde die bestellte Leistung geliefert und bezahlt.

Politik im virtuellen Raum

Die heutige Gesellschaft verlangt von ihren Politikern, dass sie makellose und unfehlbare Menschen sind. Diese gibt es in der Realität aber nicht. Den Wunsch der heutigen Wähler kann in der virtuellen Welt erfüllt werden. Politiker als Avatare. Künstliche Menschen als Träger von politischen Ideen. Der demokratische US-Abgeordnete George Miller lebt bereits neben seinem realen Leben als Politiker in der virtuellen Welt. In Second Life hat er sich einen Avatar zugelegt, mit dem er dieselbe Politik vertritt wie im echten Leben. Im grauem Abgeordnetenanzug, weißem Schnurrbart und Brille agitiert er für seine reale Partei mit virtuellen Menschen. Miller ist nicht der erste Politiker in der virtuellen Spielwelt. Mark Warner, der Gouverneur von Virginia, führte einen Teil seines Präsidentschaftsanwärterwahlkampfes im Internet als Avatar. SL bietet der Politik eine Chance, die Politikverdrossenheit der jungen Menschen zu stoppen. Im neuen Umfeld sind sie auch nicht so fehleranfällig als im realen Leben.

Die virtuelle Welt kann noch stärker überwacht und geprüft werden als die reale. Jede Bewegung eines Avatars kann nachvollzogen werden. Damit entstehen neue Kriterien. Etwa in der Werbung, wo nicht für das Werbeplakat bezahlt wird, sondern für die Anzahl der Kontakte, da ja jeder Blick gemessen und nachgewiesen werden kann. Im Gegenzug haben die Avatare auch mehr Möglichkeiten: sie können fliegen und sich teleportieren lassen.

Austria ist bereits im SL

Österreich ist im SL bereits vertreten. Der Besitzer des größten privaten Softwarehauses Österreichs, Peter Kotauczek war schon immer ein Entrepreneur, ein Vorreiter. So auch in der virtuellen Welt: Er ist nämlich der Besitzer der Österreichinsel. Mit "Mozarts Austria" - so nennt er seine Insel - bietet er österreichischen Firmen eine Plattform in der neuen Welt. Die Insel ist im Internet-Grundbuch eingetragen und kann mit der Adresse 135,173,24 besucht werden. Mit etwa 2000 US-Dollar ist man Inselbesitzer. Die Landesverwaltung von Second Life berechnet etwa 300 US-Dollar pro Monat für die Wartung der Insel. Also öffentliche Abgaben.

Fast 100 Länder sind im SL vertreten (Schweden hat sogar eine offizielle Botschaft im SL, durch die Informationen über das Land verbreitet werden). Bald wird sich unsere Erde im virtuellen Raum spiegeln. Sicher werden zunehmend auch Fantasieländer dazu kommen und unser Globus kann einen größeren Planeten auf virtueller Basis beherbergen als er selbst ist. Derzeit wächst SL pro Quartal um 50 km2. Derzeit ist es 300 km2 groß, was an Dimensionen von Singapur oder Andorra heranreicht, und schon um ein Vielfaches größer ist als Monaco.

Bessere Welt gefunden?

Die virtuelle Welt verhält sich wie unserer reale. Es gibt Handel, Geld und viele neue Berufe und dadurch keine Arbeitslosen. So gesehen ist die virtuelle Welt besser zu ihren Einwohnern. Second Life bietet den von der realen Welt frustrierten Menschen eine Traumwelt, in der sie sich erholen können und in der sie sich wohl fühlen. Der Abend wird nicht mehr passiv vor dem Fernseher verbracht, sondern interaktiv in der virtuellen 3D-Welt im Internet. Vielleicht werden die Menschen dadurch zufriedener und glücklicher?

Der Autor wandelt als Ritschi Renoir durch Second Life. Er ist registriert und Wissenschaftler, so wie in der realen Welt, in der er Vortragender an der Business School Krems ist.

www.secondlife.com

Second life

Svarga heißt die Welt, die besser unter Second Life bekannt ist. Vor sechs Jahren wurde sie von der kalifornischen Firma Linden Lab erschaffen. Derzeit sind mehr als vier Millionen Teilnehmer registriert. Wöchentlich melden sich rund 100.000 neue Mitglieder an. Was sie zu sehen bekommen, ist detailgetreu: Blätter rascheln im Wind und Sonnenlicht spiegelt sich im Wasser. Diese Welt im Internet gibt keine Spielziele vor, wie im realen Leben passiert nichts, wenn man nicht selbst die Initiative ergreift.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung