Winzige Rädchen einer riesigen Maschine

Werbung
Werbung
Werbung

Der rührendste und zugleich schlagend genau analysierende Film Billy Wilders; nicht der erste, der mit dem strengen Heys-Code brach, aber einer der gewichtigsten, um nicht nur mit Shirley MacLaine einen neuen Frauentyp, sondern zugleich eine neue kulturelle Dekade einzuleiten. Jack Lemmon spielt den gutmütigen Versicherungsangestellten C. C. "Bud" Baxter, der sich dadurch wehrt, von seinen Vorgesetzten, die sein Appartement für ihre Affairen leihen, ausgenutzt zu werden, dass er sich einredet, er habe alles in der Hand und bringe seine Karriere voran. Als er Miss Kubelik gegenüber seine Gefühle leugnen muss, wächst Baxter zu wahrhaft menschlicher Größe heran. Von zwingender Logik und doch leicht, bitter genau und zugleich zärtlich, entlarvend und melancholisch zugleich: Vielen gilt "The Apartment" als das gelungenste Werk Wilders. Ab 14.

Als Gesellschaftskritiker wird Wilder gepriesen, als einer, der die kapitalistische Waren- und Angestelltenwelt entlarvt habe: Wilder zeigt gerade sowjetischen Kulturfunktionären sowie Film- und Theaterschaffenden aus den Bruderländern im Ost-Berliner Künstlerlokal "Die Möwe" sein "Apartment". Auf den Applaus antwortet Wilder, dass seine Geschichte sich überall auf der Welt hätte ereignen können, nur nicht in Moskau, und erntet erneut Applaus. "In Moskau nämlich deshalb nicht", fährt Wilder fort "weil Lemmon dort sein Appartement gar nicht hätte verleihen können. Weil dann noch drei andere Familien mit ihm drin wohnen würden." Möglicherweise erzählte Wilder diese Anekdote nicht nur so gerne, weil die DDR und die Sowjetunion ihm kurze Zeit später für seine Komödie "One Two Three" die Kooperation verweigerten. In Wilders Lebensphilosophie ist die Absage an Ideologien stark verankert.

Aber auch in den USA erblickte man im "Apartment" Wahrheit. Firmenangestellte, schreibt Karasek, schrieben Wilder zuhauf, sie wüssten, dass er in diesem Film ihre Firma porträtiert habe - "so genau traf der Film die Verhältnisse". Aus 40-jähriger Entfernung ist erstaunlich, dass die hochartifizielle Inszenierung dem Realismus zugeschlagen wurde. New York, der tatsächliche Drehort: von wilder Romantik und am stärksten vielleicht von der Erinnerung geprägt, die Wilder an seine Ankunft im schneebedeckten New York fünfundzwanzig Jahre zuvor hatte. Das 19. Stockwerk der Consolidated Life Versicherungsgesellschaft, in der C.C. "Bud" Baxter arbeitet: ein fast ins Unendliche gestaffelter Raum, entstanden durch perspektivisch verkürzte Bauten und einen gezeichneten Hintergrund, der den Trick vervollständigt - alles erschaffen in der Erfindungskraft des Bühnenbauers Alex Trauner. Bud Baxter selbst, die vielleicht pointierteste Rolle Jack Lemmons: ein Angestellter unter Millionen, das winzige Rad einer Maschine, so gewaltig, dass kein Mensch mehr sie lenken kann - aber zugleich außergewöhnlich in jeder einfachen Geste und jeder komplexen Handlung. Die Identifikation, die der Film ermöglicht, ist eine, die den Regeln der Traumfabrik folgt und nicht der Wirklichkeit.

Die Vertikale des Wolkenkratzers und seiner Aufzüge als Mechanik des gesellschaftlichen Aufstiegs zu identifizieren und die Horizontale - des Formats, vor allem - als Plattform der Masse ist einfach. Eine bedient den Aufzug, die in dieser Welt zugleich nichts und alles verloren hat: Weil Miss Kubelik (Shirley MacLaine, ein Symbol des Aufbruchs in die sechziger Jahre) zwar richtig tippen, aber nur falsch buchstabieren kann, gibt man ihr ein Paar weiße Handschuhe und lässt sie die Stockwerke hoch- und runterfahren. Einer arbeitet am Pult Nummer 861 im 19. Stockwerk, dem das Schicksal das geruhsame Leben in der Anonymität des Angestelltendaseins verweigert. Bud Baxter (Jack Lemmon) hat sich aus Naivität und Gutgläubigkeit darauf eingelassen, seinen Vorgesetzten sein Appartement für ihre - sehr häufigen - Tête-à-têtes zu leihen. Miss Kubelik trägt einen kleinen zerbrochenen Spiegel in ihrer Handtasche - so könne sie sehen, wie sie wirklich sei. Bud Baxter verleugnet sich selbst an allen Fronten: den lüsternen Chefs spricht er kaum von seiner Qual, keine Nacht richtig zu schlafen, den Nachbarn gegenüber mimt er den Frauenhelden, und als der Arzt, der sein Nachbar ist, ihn darum bittet, seinen Körper, der all diese Ausschweifungen aushält, bei seinem Ableben der Wissenschaft zu schenken, brüstet sich Baxter mit diesem Angebot gegenüber der einzigen Frau, die er aus einer Bar mitnimmt. Miss Kubelik gegenüber leugnet er seine Gefühle bis zur Selbstaufgabe. In den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr wächst dadurch eines der zärtlichsten und wehmütigsten Paare der Filmgeschichte zusammen.

Außergewöhnlich ist der Umgang mit dem Breitwand-Format in "The Apartment". Alle anderen Räume des Films - die Büros, die Bars, das Chinesische Restaurant - sind von großer Enge oder Überfüllung gekennzeichnet. Das Appartement selbst wird meist in langen Einstellungen aus einer einzigen Perspektive aufgenommen - der Überblick schafft Vertrautheit, die nahe Distanz zwischen Halbtotale und Halbnahe bietet Entspannung. Es ist ein geschützter Ort, obwohl sich alle Interessen in ihm kreuzen. Wilder polemisierte gegen den Moralismus seines Co-Autoren Diamond, der "The Apartment" ein schmutziges Märchen nannte. Nur ein beschädigtes Glück ist zu haben.

USA 1960 - Produktion: The Mirish Company - Produzenten: Billy Wilder, I. A. L. Diamond, Doane Harrison - Verleih: abc-Films - Länge: 125 min. - Regie: Billy Wilder - Buch: Billy Wilder, I. A. L. Diamond - Kamera: Joseph La Shelle - Schnitt: Daniel Mandell - Musik: Adolph Deutsch - Ausstattung: Edward G. Boyle - Darsteller: Jack Lemmon, Shirley MacLaine, Fred MacMurray, Ray Walston, Jack Kruschen, Joan Shawlee

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung