network - © Foto: Tobias Witzgall / SLT

Alles für die Quote: Selbstmord im Studio

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Franz Mayrhofer über zwei "brisante Aufführungen" des Salzburger Landestheaters zu Beginn der neuen Spielzeit.

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Franz Mayrhofer über zwei "brisante Aufführungen" des Salzburger Landestheaters zu Beginn der neuen Spielzeit.

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Medien, ihr Gebrauch und ihr Missbrauch sind Themen des Landestheaters Salzburg an der Spitze der neuen Spielzeit. Einmal hat die Satire den Vortritt, dann aber kommt der Blick auf autoritäre Institutionen, verquickt mit der Politik. Da schreibt die Gegenwart mit. Zwei brisante Aufführungen. Das erste Stück, „1000 Tutorials“ von Ronnie Brodetzky, ist eine Uraufführung in den Kammerspielen und beschäftigt sich in amüsanter und überdrehter Weise mit den Ratschlägen aus YouTube. „Network“ von Lee Hall ist eine österreichische Erstaufführung im Landesstudio Salzburg des ORF. Hall schrieb diese Bühnenadaption nach dem gleichnamigen Film von Paddy Chayefsky, der 1976 vier Oscars erhielt.

Mehr als 40 Jahre liegt die Story zurück: Howard Beale moderiert für einen großen amerikanischen Sender die Nachrichten, seine Quoten scheinen dem Sender aber zu dürftig, er soll durch jemand anderen ersetzt werden. Daraufhin kündigt Beale seinen Selbstmord in der letzten Sendung an. Die Geschichte dreht sich, Beale erhält als populistischer Prophet einen neuen Sendeplatz und bedient die Wutbürger mit der „Wahrheit“ über die verlogene Welt. Die Drastik des gut konstruierten Stücks samt professioneller Ausstattung im ORF, mit Zuspielern, Studiopersonal usw., gewinnt neue Aktualität. Der britische Premierminister Boris Johnson sei dabei, die BBC an die Kandare zu nehmen, schreibt Die Zeit. Für die Salzburger Erstaufführung hat Regisseur Claus Tröger in Axel Meinhardt einen Howard Beale gefunden, der diesem Anspruch der Zerrissenheit des Journalisten zwischen objektiver Wahrheit und Wahrheitsshow gerecht wird.

In den „1000 Tutorials“ von Ronnie Brodetzky und der Inszenierung des von Lea Mantel übersetzten ursprünglichen Stücks „How to get up from a Chair“ geht es oberflächlich um Unterhaltung, im Grunde aber kommt bei allen Anleitungen aus YouTube – früher gab es dazu ein dickes Buch mit „Tipps für den Haushalt“ – bei längerem Zusehen etwas anderes heraus. Etwa beim Anziehen eines Rollkragenpullovers: Hat man da nicht schon einmal zumindest Anwandlungen von Platzangst gehabt oder womöglich den Anflug einer Panikattacke verspürt? Es läuft bei aller „Hilfestellung“ doch wieder auf den Einzelnen hinaus; und der steht dann ziemlich einsam da. Etwa beim Aufstehen von einem Sessel: Hier hält Hanno Waldner einen philosophierenden, absurden Schlussmonolog über das Aufstehen, allein oder gleichzeitig mit anderen – beinahe ein Thomas Bernhard. Im „Network“ wird nicht philosophiert: Ein Terrorist erschießt Beale.

1000 Tutorials, Salzburger Landestheater, Kammerspiele 1., 10., 22. Oktober 2020
Network, Salzburger Landestheater, ORF Landesstudio 3., 6., 8., 17. Oktober 2020

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