Wer hat meinen Vater umgebracht - © Foto: www.lupispuma.com

Kampf gegen Unsichtbarkeit

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Zweimal Édouard Louis in Wien: Das Schauspielhaus zeigt „Im Herzen der Gewalt“, dem Volkstheater gelingt mit „Wer hat meinen Vater umgebracht“ ein bemerkenswerter Abend.

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Zweimal Édouard Louis in Wien: Das Schauspielhaus zeigt „Im Herzen der Gewalt“, dem Volkstheater gelingt mit „Wer hat meinen Vater umgebracht“ ein bemerkenswerter Abend.

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Literatur sei für ihn, so sagte Édouard Louis einmal, ein Ort des Widerstands, eine Möglichkeit, um der Wahrheit zu nutzen, um das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten zu schärfen. Er könne angesichts des Leidens seines Vaters und seiner Mutter, die stellvertretend für die unterprivilegierte Klasse stehen, keine Zeit damit verlieren, Geschichten zu erfinden. „Es geht nicht, es ist zu dringend“.

Und seit es Édouard ­Louis – geboren 1992 als Eddy Bellegueule – 2014 im Alter von zweiundzwanzig Jahren gelungen ist, seinen vier Jahre zuvor geschriebenen autobiografischen Roman „En finir avec Eddy Bellegueule“ (in der deutschen Fassung „Das Ende von Eddy“) endlich zu veröffentlichen, in dem er mit seiner Kindheit in Hallencourt, einem Dorf in der Picardie, abrechnet, in einem Milieu, das geprägt war von Armut, Bildungsferne, Alkoholismus, Brutalität, Rassismus und Homophobie, hört er nicht auf, den Sprach­ohnmächtigen, den Unsichtbaren seine Stimme zu geben.

Die Ursachen von Gewalt

Der Shootingstar, der inzwischen in Paris lebt und Soziologie studiert, gehört nicht nur zu den am meisten diskutierten Autoren (nicht nur) Frankreichs, sondern er hat seither noch zwei Romane nachgelegt, die trotz der darin verarbeiteten persönlichen Erlebnisse nicht einfach als autobiografische Erzählungen aufzufassen sind. Denn wie der Autor betont, geht es darum, den Leser mit einer Realität zu konfrontieren, von der er zwar wisse, die er aber verdrängen möchte.

Es ist keine Überraschung, dass auch die Theaterbühnen an diesem Dialog zwischen den Welten teilhaben wollen und um die Aufführungsrechte buhlen. Thomas Schweigen, der künstlerische Leiter des Wiener Schauspielhauses, hat sich die österreichische Erstaufführung von Louis 2016 erschienenem zweitem Roman gesichert. „Im Herzen der Gewalt“ erzählt auf der Plotebene von einem persönlichen traumatischen Erlebnis des Autors. An einem Weihnachtsabend begegnet ­Louis auf dem Heimweg dem jungen Algerier Reda, man kommt ins Gespräch, er lädt ihn zu sich ein, wo die Dinge ihren Lauf nehmen. Doch die Liebesnacht schlägt jäh um in eine brutale Vergewaltigung und einen Mordversuch. Der Roman ist aber kein Monolog eines Misshandelten, sondern ist durch die komplexe, mehrschichtige Erzählstruktur vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Ursachen von Gewalt, die darüber hinaus die Frage nach der Deutungsmacht stellt. Schweigen beginnt seine Inszenierung denn auch mit dem, was den literarischen Kunstgriff des Romans ausmacht. Am Bühnenrand steht Steffen Link als Édouard und belauscht seine Schwester (Clara Liepsch), wie sie ihrem Mann die eigene Version der Geschehnisse jener Nacht erzählt. Aber die ist verzerrt, voller Ressentiments gegen Ausländer und Schwule, so dass Link immer wieder korrigierend dazwischenspricht. Denn Reda (Josef Mohamed) hat ihm von sich erzählt, von seinem ärmlichen Elternhaus, dem Rassismus der Gesellschaft, seinem Selbsthass. Und statt seinen Peiniger einfach zu hassen, ist Édouard hin- und hergerissen.

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