Religiös und selbstbestimmt leben

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Regisseur Felix Prader verflacht starke Momente und setzt kaum Akzente. Dennoch wird diese Inszenierung aufgrund der Qualität und Aktualität des Stückes wohl ein Riesenerfolg.

Wer oder was sind wir? Die Antwort ist eine Frage des Kontextes, so der 65-jährige Protagonist namens Afzal. Für ihn selbst handelt es sich vor allem um die Frage des eigenen Vorteils. "Das kannst Du mir nicht antun", verzweifelt der pakistanische Emigrant, als er den islamkritischen Roman seiner Tochter, der hochintelligenten Zarina liest. Der Titel ihres Buches ist ident mit jenem von Ayad Akhtars Stück, das am 27. Mai am Akademietheater Premiere hatte: "The Who and the What".

Was macht uns aus? Was bedeutet weibliche Identitätsfindung und Emanzipation, was heißt es, Tochter eines konservativen Muslimen in Amerika zu sein und ein selbstbestimmtes Leben zu führen? - Das Well-made-Play, 2014 in San Diego uraufgeführt, feiert internationale Erfolge. "The Who and the What" ist ein hochbrisantes Stück, das soziale, religiöse und kulturelle Differenzen aufzeigt, ohne zu urteilen. "Soll denn gute Kunst nicht genau das bewirken?", nämlich Menschen durcheinanderzubringen, heißt es über Zarinas Roman.

Akhtars Stück zeigt die Widersprüche in der Auslegung der Religion, im Handeln und im Denken. Der Dramatiker geht dabei auch von eigenen Erfahrungen aus. Als amerikanisch-pakistanischer Autor der zweiten Migrantengeneration thematisiert er die Schwierigkeiten ethnisch-kultureller Identitäten in unserer modernen Welt. Er konfrontiert die in Amerika geborene Harvard-Absolventin Zarina mit ihrem Vater, der sich als Taxi-Unternehmer in Atlanta hochgearbeitet hat. "Geld verdienen. Geld verschenken. Das ist der Sinn seines Lebens", so beschreibt sie ihn. Nach dem Krebstod der Mutter zog Afzal Zarina und Mahwish allein groß.

Für den überzeugten Muslimen spielt religiöse Erziehung eine wesentliche Rolle, für seine mittlerweile erwachsenen Töchter wünscht er sich Anerkennung sowohl in der muslimischen Gemeinschaft als auch in der säkularisierten Gesellschaft. Das bedeutet auch, dass er die Töchter mit einem gutverdienenden und gläubigen Muslimen unter die Haube bringen möchte. Die 25-jährige Mahwish darf jedoch erst nach der Eheschließung der älteren Schwester verheiratet werden. Doch Zarina denkt nicht daran, vor allem nachdem ihr Vater die Beziehung zu ihrem Freund Ryan, einem katholischen Iren, verboten hat. Sie hat ihren Geliebten verlassen, um sich dem Willen des Vaters zu beugen. "Man muss Frauen brechen, um sie glücklich zu machen", davon ist Afzal überzeugt. Doch hat er nicht Zarinas Willen, er hat ihr Herz gebrochen. Seit der Trennung von Ryan widmet sie sich ganz ihrem Roman über den Propheten Mohammed und der Rolle der Frau im Islam. Zusätzlich kümmert sie sich um den Haushalt der Familie.

Afzal versucht nun heimlich, eine Ehe für Zarina zu arrangieren, indem er eine Kontaktanzeige auf der Datingplattform muslimelove.com aufgibt und Heiratskandidaten trifft. Daraus resultieren komische Situationen, etwa die Begegnung mit dem zum Islam konvertierten Eli, einem jungen, höchst engagierten Imam, zu dessen Vorbildern Malcolm X zählt. Der Zufall will es, dass Eli und Zarina einander bereits begegnet sind, beide versuchen ihre Position im Spannungsfeld zwischen einem religiösen und zugleich modernen, selbstbestimmten Leben zu finden. Als Zarinas Roman in Afzals Hände gerät, scheint die Familie am unterschiedlichen Verständnis des Islam zu zerbrechen.

Pointiertes Kammerspiel

Ayad Akhtar hat mit "The Who and the What" ein pointiertes Kammerspiel verfasst, das die gesellschaftlichen Klüfte aufzeigt und Möglichkeiten des Zusammenlebens trotz unterschiedlicher Herkünfte und Wertesysteme hinterfragt. Bei der Wiener Premiere wurde der Autor begeistert aufgenommen. Das Ensemble erntete ebenfalls reichlich Applaus, auch wenn in der konventionellen Regie des Schweizer Regisseurs Felix Prader die Schärfe und Tragik der Widersprüche kaum spürbar werden. Prader verflacht die Komplexität des Stückes.

Sein Verständnis dieses Mikrokosmos innerhalb einer aufgeklärten Gesellschaft löst er szenisch so, indem die Akteure den anderen Darstellern bei ihrem Spiel zusehen. Vor einem riesigen Gebetsteppich sitzen sie auf ihren Stühlen und betrachten die Situationen. So belächeln die Töchter die selbstmitleidigen Aktionen ihres Vaters, dieser wiederum staunt über deren Haltungen.

Peter Simonischek überzeugt als selbstgefälliger Afzal. Mit dichten dunkel gefärbten Augenbrauen und ebensolchem Schnurrbart, einer polternden und zugleich manipulativen Art reüssiert er als Familienoberhaupt. Philipp Hauß zeigt die Widersprüche des sozial engagierten Eli, der fest daran glaubt, dass Beziehung nur über echte Auseinandersetzung und ehrliches Interesse gelingen kann. Blass bleibt Aenne Schwarz, die weder die vielfach zitierte Begabung noch die kämpferische Seite dieser Zarina zum Ausdruck bringt. Revolte wird durch Härte behauptet. Prader verflacht starke Momente und setzt kaum Akzente. Dennoch wird diese Inszenierung aufgrund der Qualität und Aktualität des Stückes wohl ein Riesenerfolg.

The Who and the What Akademietheater, 10., 13. Juni

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