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Zwei Passionen

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Zwei Theaterabende, die ich in der letzten Zeit miterlebt habe, waren dazu angetan, mir wieder einmal den Unterschied zwischen Politik und Macht auf der einen, religiöser und künstlerischer Hingabe auf der anderen Seite zum Bewußtsein zu bringen.

Die eine Aufführung war die in einem Wiener Kellertheater produzierte und mit hervorragenden Schauspielern, wie Paola Loew, besetzte des Stückes des deutschen Dramatikers Christoph Hein „Die Ritter der Tafelrunde”. Dieses Drama stellte die ostdeutschen Machthaber, noch ehe sie ihre Macht verloren, in Vorwegnahme des Kommenden, als vergreiste Relikte einer zu Ende gehenden Epoche, als Gralshüter ohne Gral dar. Nun, da der physische Tod Erich Honeckers seinem politischen nachgefolgt ist, gewinnt das Lehrstück erstarrter Macht erst recht Aktualität und Bedeutung. Und wenn die Macht in der Demokratie auch nicht so schreckliche Auswüchse zeitigt wie in der Diktatur, so gibt es doch auch in ihr Beispiele genug, daß die Politik und Macht zu verzehrenden Passionen der Machthaber werden können, und daß die von ihnen Beherrschten trotz aller Möglichkeiten, die die Demokratie bietet, wenigstens vorübergehend zur Passion und Passivität gegenüber dem Übermut der Mächtigen verurteilt sind.

Einen ganz anderen Eindruck vermittelte die Premiere einer „Behindertenpassion”, die in einem großen Saal des Hotels Althof in Retz stattfand. Der Regisseur Manfred Michalke hat es mit Hilfe seiner in der Behindertenfürsorge tätigen Frau zustandegebracht, geistig und körperlich Behinderte, in mühsamer Arbeit so weit zu bringen, daß sie zu den Klängen von Mozarts Be-quien und durch den Wechsel des Lichtes angeleitet, die Passion Christi und damit auch ihre eigene zur ergreifenden Darstellung bringen.

Als die Mitwirkenden, die sich selbst gaben, am Ende der Vorstellung Kardinal Franz König, der der prominenteste Zuschauer war, umringten, fühlte man es: es gibt eine Passion, die bei allem Leid, das sie zufügt, nicht zerstört, sondern erhebt und aufbaut, nicht selten auch das, was die Macht vorher angerichtet hat.

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