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„Fertigmachen zum Weichwerden!"

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Von alters her ist es üblich, die Weihnachtsgeschichte als ein Obdachlosenschicksal zu erzählen: als Los einer Familie, die wegen der Borniertheit der Finanzämter ausgerechnet zu Weihnachten nach Bethlehem reisen muß. Und in Bethlehem klopfen Josef und Maria, die Eltern des Christkinds, vergeblich an die Türen der saturierten Bürger.

Ich verstehe ja gut die guten Absichten meiner Pfarrerkollegen, die das Obdachlosenschicksal der heiligen Familie in düstersten Farben malen. Ich verstehe auch, daß viele Dichter aus dem Bitual des Fremdenhasses lieber das poetische und gereimte Herbergssuchen gemacht haben - obwohl ich schon als junger Theologiestudent gelernt habe, daß die heilige Nacht lau gewesen ist, und daß es im Stall sicher behaglicher war als in einer verrauchten Herberge.

Die Weihnachtsgeschichte als Obdachlosenschicksal soll die Wohlstandsösterreicher an die Existenz der Flüchtlinge in unserem Land erinnern, die auch niemanden finden, der sie auf die Dauer aufnehmen will.

Aber muß das Christkind wirklich obdachlos werden, damit ein paar Zweitwohnungsbesitzer nachdenklich werden? Ist es immer noch nicht selbstverständlich, Menschen in Not zu helfen, daß man rührselige Geschichten erzählen muß, um Unsereins zu motivieren?

Aber wer wagt es schon, auf dieses traditionelle Weihnachtsritual zu verzichten? Es garantiert immerhin, daß zu Weihnachten die Butterweichen noch butterweicher und edler werden. Und auf einmal glauben sie, die Dunkelheit der Welt nicht mehr ertragen zu können und in dieses Dunkel Licht bringen zu müssen.

Man sehe gefälligst - wenigstens zu Weihnachten - das Elend der Welt. Zum bewährten Festritual gehört eben eine gute Portion schlechten Gewissens. Fertigmachen zum Weichwerden! Erst, wenn dem schlechten Gewissen der gehörige Tribut an Spenden gezollt worden ist, dann steht der Festesfreude eigentlich nichts mehr im Wege.

Weihnachten 1995 - oder das „Personal für das schlechte Gewissen" steht bereit.

Amen.

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