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1934, seine Bewaltigung und Polemik

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Das „alte" Jahr 1984 stand, vom zeitgeschichtlichen Interesse her gesehen, im Zeichen der Erinnerung an die Erste Republik. Man kann nicht behaupten, daß gewaltige Schritte zu einer Bewältigung der kon-fliktbeladenen Geschichte Österreichs in der Zwischenkriegszeit getan worden wären. Die Ansprache des Bundespräsidenten im Februar beim Gedenkakt im Parlament gehörte zu den wenigen Versuchen, alle Österreicher

in eine gemeinsame historische Gewissenserforschung einzubinden.

Doch die politischen Lager blieben bei getrennten Veranstaltungen, auf der einen Seite nicht ganz frei vom Pathos der Selbstgerechtigkeit, auf der anderen nicht ganz frei von kaschiertem schlechten Gewissen. Die Idee des den Lesern der FURCHE bekannten Soziologen Walter B. Simon, alle Lager zur gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ersten Republik zu gewinnen, blieb unverwirklicht.

Umso bedauerlicher ist es, daß das Buch Simons „Osterreich 1918-1938" in der .Arbeiterzeitung" einem totalen „Verriß" durch Herbert Steiner ausgesetzt wurde. Es ist allzu billig, den Eindruck zu erwecken, Simon wisse nicht, daß der Gründungsparteitag der Sozialdemokratie in Hainfeld, nicht Hainburg stattfand („Hainburg statt Hainfeld", AZ vom 20.8.1984), wenn man zwar einen gewiß bedauerlichen Druckfehler anprangert, aber verschweigt, daß nicht weniger als neunmal durchaus richtig vom Hainfelder Programm gesprochen wird. Auch ist Steiners Aussage unzutreffend, Simon finde es „sogar für notwendig, den faschistischen Ideologen Othmar Spann zu verteidigen", wenn Simon ausdrücklich schreibt, er sei von Othmar Spann „negativ beeindruckt".

Simons Aussagen zum Antisemitismusproblem sind nuancierter, als Steiner dies schildert Steiner wirft Simon vor, dieser habe behauptet, das Linzer Parteiprogramm enthalte eine „positive Bewertung von Lenins Oktoberrevolution". Doch ist dieser Vorwurf das Resultat flüchtiger Lektüre. Simon verweist auf die Wirkung des Werkes von Marx in der Ersten Republik und nennt u. a. das Linzer Programm und die positive Bewertung der Oktoberrevolution. Die zahlreichen Passagen, in denen das Wirken der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung in Wien mit Bewunderung und größtem Lob beschrieben wird, wurden allerdings vom Rezensenten mit Schweigen übergangen.

Gewiß bietet Simons Werk verschiedene Ansätze für kritische Auseinandersetzung. Abqualifizierende Polemik sollte jedoch in der zeitgeschichtlichen Diskussion keinen Platz haben.

Der Autor ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien.

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