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Am Donnerstag, dem 25. Jänner 1973, wurde in Österreich zum erstenmal nach acht Jahren wieder die gefürchtete Maul- und Klauenseuche registriert.

Nachdem es vorübergehend schien, als habe man sie unter Kontrolle gebracht, hat sie sich in den letzten Tagen geradezu explosionsartig ausgeweitet.

„In den Seuchenzentralen lagen die toten Schweine bis zu zehn Tagen in den Ställen. Auf den Kadavern krochen noch überlebende Tiere herum, bis sie endlich abge-

holt wurden. Über ganze Dörfer breitete sich Verwesungsgeruch. Die Bauern durften ihre Häuser nicht verlassen und waren dem fürchterlichen Gestank besonders ausgesetzt“, schildert der „österreichische Bauernbündler“ die Situation.

Die gefürchtete Seuche wird durch Viren hervorgerufen und befällt vor allem Klauentiere. Blasen und Geschwüre treten auf der Maulschleimhaut oder an den Klauen auf, die befallenen Tiere fiebern oder gehen ein; das Herz versagt. Die Seuche ist ansteckend und kann auch auf den Menschen übertragen werder

Aber werden und wurden diese Maßnahmen wirklich ergriffen? Nach dem Ausbruch der Seuche im Jänner griffen die bäuerlichen Vertreter, vor allem Landeshauptmann

Maurer, das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz massiv an: Man habe die Maßnahmen gegen die Maul- und Klauenseuche zu spät eingeleitet und überdies zuwenig getan, sagten die Bauern.

Die Seuche war nämlich zunächst in Ungarn und in der CSSR aufgetreten. Schon damals hatten die Vertreter der Landwirtschaft von Gesundheitsminister Dr. Leodolter verlangt, in den Grenzgebieten einen Impfring zu ziehen. Das hatte Doktor Leodolter abgelehnt.

Nachdem die erste Welle der Seuche, die vor allem Rinderbestände befiel, langsam abflaute, kam Anfang April eine zweite Welle, die fast ausschließlich die Schweine befällt. Seuchenzentren sind die Gebiete um Gänserndorf und Mistelbach, aber auch andere niederösterreichische und burgenländische Bezirke. Auch diesmal verhielt sich Dr. Leodolter den Bauern gegenüber provokant: Das Gesundheitsministerium verabsäumte es, für den sofortigen und reibungslosen Abtransport der toten Tiere zu sorgen und schaffte dadurch die anfangs beschriebene Situation, welche die Bauern zwang, mit den übelriechenden, verwesenden Tieren unter einem Dach zu leben.

Dramatischer letzter Stand der Dinge: die Landeshauptleute Maurer und Kery wiesen die Behörden an, in den betroffenen Ortschaften die Abhaltung von Gottesdiensten, Versammlungen jeder Art, die Abhaltung von Amtsitagen, den Schul- und Kindergartenbesuch usw. zu verbieten. Gasthäuser, Kaffeehäuser und Buschenschenken werden geschlossen. Die Bewohner dieser Ortschaften sind zu Gefangenen geworden.

Und gar nicht tröstlich sind die Prognosen, welche die Ernährungs-und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zum Thema Tierseuchen in Europa stellt: durch die hohen Rindfleischpreise in Europa ist nämlich der Fleisch-schmuggel interessant geworden. Billiges, geschmuggeltes Fleisch kommt aber vor allem aus Ländern mit endemischen Tierseuchen. Auf diese Weise können leicht gefährliche Tierseuchen eingeschleppt werden. Ganz allgemein registriert die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, daß bei den Bemühuneen, Europa frei von Tierseuchen zu halten, ein Rückschlag eingetreten sei.

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