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Das „Vorzimmer

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Die meisten Leute behaupten, der erste Eindruck, den man von einem Menschen oder einer Sache bekomme, sei der ausschlaggebende. Er sei entscheidend, da er sich nicht mehr verwischen lasse. Die gleichen guten Leute aber, die auf diesen Grundsatz schwören, negieren ihn sofort — wenn es sich um die „Vorzimmer“ ihrer Wohnifngen handelt, also jene Räume, die alle Besucher zuerst betreten müssen. Den Eindruck, den die Besucher nämlich von diesen „Vorzimmern“ bekommen, ist meist ein schrecklicher, da diese Räume sich fast immer in einem desolaten Zustand befinden. Zur Entschuldigung der „Besitzer“ solcher Vorzimmer muß allerdings gesagt werdet, daß diese „anticamere oft eine architektonische Form haben, die die Vermutung nahelegt, daß sich ihre Erbauer damit entweder einen schlechten Scherz leisteten oder ihren Beruf als einen Wochenendsport auffaßten. Manche Vorzimmer sind ein langer, schmaler Schlauch, so daß sie gut als Uebungsplatz für Rollschuhläufer verwendet werden könnten, andere haben wieder die Form eines Trapezes mit abgeschnittenen Ecken. Viele Vorzimmer haben entweder überhaupt keine Fenster oder höchstens solche, die in einen lichtlosen Hof gehen, von dem eine freudlose Atmosphäre hereinströmt. Diese „angeborenen“ Schönheiten der Vorzimmer werden leider nur selten durch die Bewohner der Wohnungen gemildert oder verdeckt, sondern eher noch verstärkt. Denn viele Menschen benützen ihre Vorzimmer als eine Art Möbelmagazin und stellen alles mögliche Mobiliar hinein, das ihnen für die Zimmer zu schäbig ist, das sie aber doch noch nicht verheizen wollen. Aber nicht nur als Möbelmagazin benützen viele Menschen ihre Vorzimmer, sondern auch als Rumpelkammer. Alle möglichen Dinge, wie Badewannen, Hutschachteln, Koffer usw., finden sich in malerischer Unordnung auf, unter und neben den diversen Möbeln. Oft glaubt der Besucher, diese schöne Sammlung sei einheitlich mit einer Tarnfarbe übermalt, nach näherem Zusehen und auch Zugreifen kommt er darauf, daß über alles eine Staubschicht gelagert ist. Damit die Nasen nicht auch zu kurz kommen, schwebt noch in vielen Vorzimmern eine Wolke, die sich infolge langer Nichtlüftung aus Gerüchen zusammensetzt, die an nasse Regenschirme, nichtgeputzte Hüte und aus der Küche entwichene Fette erinnert.

Hand aufs Herz: wer kann nach einem solchen Vorzimmer noch den Wunsch haben, die weitere Wohnung zu besichtigen und in ihr gar zu verweilen? Die Anhänger des Grundsatzes, daß der erste Eindruck der wichtigste sei, dürften es auf keinen Fall tun, sie würden nur Enttäuschungen erleben. Und nur jene, die behaupten, dieser Grundsatz sei falsch, dürften auch in das weitere Innere schreiten. Ganz besondere Menschenfreunde könnten noch den Besitzern auf die Schultern klopfen und ihnen gute Ratschläge geben, etwa folgende: „Lüftet jeden Tag gründlich; wischt den Staub ab; werft die überflüssigen Möbel hinaus; gebt anständige Beleuchtungskörper hinein; hängt ein paar alte Stiche an die Wand. Macht aus eurer ,Räuberhöhle“ ein schönes Vorzimmer, das einen Vorgeschmack sowohl auf eure übrige Wohnung gibt als auch euch in den Geruch bringt, Menschen von Kultur zu sein.“

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