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Der gemeine Erdäpfelsalat

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Der Erdäpfelsalat an sich - per se sozusagen - ist ein Phänomen in der Philosophie, dem sich nicht einmal Kapazitäten wie Schopenhauer, Nietzsche oder Wittgenstein annäherten. Alle haben sie sich dem Erdäpfelsalat als Seinsproblem verweigert. Das ist schade, zumal wir alle wissen, welche existentielle Sprengkraft gerade im Erdäpfelsalat steckt.

Schon die Frage, warum gerade Erdäpfelsalat und nicht Gurkensalat, Karottensalat, Blattsalat, Fischsalat, Nudelsalat, Mayonnaisesalat, Gemüsesalat oder einfach gemischter Salat deutet schon die enorme Bandbreite der existentiellen Problematik an.

Dazu kommt noch die unweigerliche Frage nach dem Wozu und Warum. Ist er, der Erdäpfelsalat, eine Speise sui generis, also ein Kulinari-kum originale, wie der philosophische Koch sagen würde, oder ist der Erdäpfelsalat ein Adpositum sozusagen, eine Speise, die per se gar nicht existiert, ja vielleicht gar nicht existieren kann, sondern nur als sogenannte tabula secunda, also als Zuspeise oder Vorspeise - seltener als Nachspeise -seine Existenzberechtigung ableitet? Fragen über Fragen, die sich dem philosophisch denkenden Menschen stellen. Dabei ist noch gar nicht auf die grundlegende und alles tangierende Frage des Wie eingegangen.

Ist es ein Erdäpfelsalat klassischen Zuschnitts mit Zwiebel und ganzen Stücken? Oder ist es nicht vielmehr ein Erdäpfelsalat, der seine phänomenologische Form der kumulierten Scheiben zugunsten einer undefinierbaren Masse, gemischt aus den Aggregatzuständen fest und flüssig, mit der Neigung zu eher flüssig gewechselt hat? Dabei ist auch noch zu überlegen, ob nicht eine würfelige oder sogar kugelige Form der Erdäpfel der Kulinarik des Erdäpfelsalates eine völlig neue und unerwartete Wendung gibt. Hier liegt noch ein weites Feld der philosophischen Reflexion vor uns, die noch so manche Überraschung in sich birgt.

Freilich kann und darf nicht geringgeschätzt werden, in Korrelation zu was beziehungsweise wozu der Erdäpfelsalat serviert wird. Ist es der klassische Karpfen oder ist es das einfache Wiener Schnitzel? Ist es das deftige Käseschinkenomlett, oder ist es das Fischstäbchen aus der Kühltruhe? Oder ist es gar das Beuf Stroganof f zart blutig, das den Gaumen des Gourmets in Verbindung mit dem Erdäpfelsalat Töne des Verzückens entlockt?

Man sieht, die Bandbreite der philosophischen Fragestellungen in be-zug auf den Erdäpfelsalat ist unüberschaubar. Aber trösten wir uns, nicht nur der Erdäpfelsalat ist ein Stiefkind der philosophischen Grundlagenforschung, ähnlich geht es auch dem Gummiringerl, dem Knopfloch und der Unterhose. Sie alle, meine Damen und Herren, bestimmen in ihrer fundamentalen existentiellen Bedeutung unser Leben, und trotzdem fand es bisher keiner der vielen Philosophen - ich wiederhole: keiner - für notwendig, diesen Grundphänomenen des menschlichen Alltagslebens philosophisch auf den Grund zu gehen.

Vom Gummiringerl und von der Unterhose möchte ich da gar nicht reden. Nicht einmal vom Plastiksackerl, obwohl es mir auf der Zunge liegt.

Aber versuchen wir uns ein Leben vorzustellen ohne Gummiringerl, ohne Unterhose und ohne Plastiksackerl. Erst dann wird es uns vielleicht klar, an welchen existentiellen Komponenten des Lebens wir philosophisch vorbeigegangen sind, und welche weitreichenden Folgen das für unsere Kinder und Kindeskinder haben wird.

Darum, meine Damen und Herren, die existentielle Befindlichkeit des Menschen sowohl in historischer als auch in futurologischer Hinsicht ist nicht nur abhängig von den Fragen nach dem Sinn seines Daseins und den Fragen nach dem Woher und Wohin, sondern auch von der Beschäftigung mit dem Erdäpfelsalat als Philosophi-cum simplex, wie der gelernte Lateiner sagt, als eine Philosophie von unten sozusagen, die oft mehr Bedeutung hat als wir glauben. Prost, Mahlzeit. Ich danke Ihnen.

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